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Im Schneeregen

Im Schneeregen

Titel: Im Schneeregen
Autoren: Thomas Schenk
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denn noch herum hier? Er: Noch diesen Film, noch diese Fotos, das müssen wir schaffen, sonst wäre alles umsonst gewesen, dazu muss die Kraft noch reichen. Sie: Nimm sie schon, du weißt doch, wie es geht, du machst das so gefühlvoll, deine Hände, sie haben mir immer am besten gefallen, deine Hände, ich hätte es ihnen nicht zugetraut, dabei wollten wir noch so viel gemeinsam unternehmen und erleben, gemeinsam, verstehst du.
    Als Schwitter ins Badezimmer tritt, legt sich die Feuchtigkeit über ihn, reflexartig hält er die Luft an und wirft, als er einen Schritt tut, den Hocker um, was machst du, ruft er, schreit es, als sie nicht antwortet, der Morgenmantel ist auf den Boden gefallen, er bückt sich danach, lässt ihn wieder fallen, als er merkt, dass er sich schon mit Wasser vollgesogen hat, kannst du denn nicht endlich die Dusche abstellen, vielleicht hält sie sich die Ohren zu, er greift nach dem Duschvorhang, zieht daran, doch er klemmt, mit beiden Händen muss er reißen, bis der Vorhang aus den Ösen springt, das Wasser brennt auf seinem Gesicht, doch er weicht nicht zurück, bleibt stehen, um den Körper zu betrachten, am Boden liegt sie, ihr Rücken schimmert rot, die Wirbel treten hervor, spitz, als würden sie im nächsten Moment die Haut durchstechen, das Wasser, denkt er, gehört abgestellt, selbst ihre Fußballen sind gerötet, sie hält sie ihm entgegen, so flach wie sie daliegt, die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf eingezogen, auf den Schultern ihre Haare, sie glänzen, sie hat schöne Haare, am schönsten sind sie, wenn sie nass sind, er fährt gerne mit dem Kamm durch die nassen Haare, dann tropft Wasser auf ihre Schultern, und sie tut so, als würde sie erschrecken darüber, bevor sie es mit der Hand verstreicht, jetzt liegt ihre Hand schlaff auf dem Boden, die Finger sind aufgequollen, unnatürlich sieht das aus, unter den Nägeln ist Dreck, das kennt er gar nicht von ihr, sie pflegt ihre Fingernägel sehr sorgfältig, schneidet sie bis auf die Kuppe zurück, ihre Finger sind dünn und doch ausdrucksstark, wie geschaffen fürs Klavier, er hat nie verstanden, weshalb sie nicht spielt, und jetzt dieser Dreck, so etwas gehört doch entfernt, weggespült, ist doch keine Sache, lässt sich ganz schnell erledigen.
    Mit dieser Beatrice, das hätte doch etwas werden können, Schwitter hört die Stimme seines Vaters, Gruber hält ihm den Hörer ganz nah ans Gesicht, das hat dir doch gutgetan, haben alle gesagt, hättest sie uns ruhig einmal vorstellen dürfen, das hätte die Mutter gefreut, ihren Sohn zusammen mit einer Frau, sie soll gut aussehen, hat mir deine Putzfrau erzählt. Glaub mir doch, mit Beatrice hätte sich dein Leben entwickeln können, da kann man doch mehr daraus machen als immer auf dieser Bank, mit unseren Anlagen, siehst ja, was wir erreicht haben. Das reicht jetzt, sagt Gruber, nun bin ich an der Reihe, sagts, indem er seiner Stimme Raum gibt, Schwitter versteht kein Wort, aber die Stimme ist schön, so hat er Gruber noch nie reden hören, sie überrollt ihn, ein Strom, der alles mitreißt, der ganze Raum kommt in Bewegung, die Scheiben vibrieren, der Fensterrahmen knistert, die Vorhänge schwingen hin und her, Gruber redet und redet, die Teetasse beginnt über den Beistelltisch zu wandern, Schwitter will sie auffangen, doch er kann den Arm nicht bewegen, die Muskeln wollen nicht, so sehr er sich auch anstrengt, er kann nur zusehen, wie die Tasse aus seinem Blickfeld verschwindet, um dann auf den Aufprall zu warten.
    Endlich kommt ein Pfleger ins Zimmer, völlig außer Atem ist der junge Mann, der Kittel flattert, zum Schließen der Knöpfe hat es nicht mehr gereicht, Imhof, stellt er sich vor, kennen Sie mich denn nicht mehr, der vom Warenhaus, von den Eltern immer etwas kurzgehalten, tut mir leid für die Verspätung, aber ich musste den Grabstein auswählen, so etwas braucht Zeit, aber jetzt bin ich hier, hab zur Sicherheit gleich das Testament mitgebracht, ich sage Ihnen, jetzt kommen wir ins Geschäft, Risikobereitschaft und Risikofähigkeit sind im Gleichgewicht, Sie sagen doch immer, das Wichtigste ist die Balance, mein Anlagehorizont hat sich kolossal erweitert, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber wie sehen Sie denn aus, ganz eingefallen wirken Sie, Dehydrierung in fortgeschrittenem Stadium, würde ich sagen, hat man Ihnen das Wasser abgestellt, was für ein Glück, dass ich gerade vorbeigekommen bin, warum haben Sie denn nicht geklingelt, wir werden kurz eine
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