Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Rotes Pferd mit schwarzer Mähne

Titel: Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
Autoren: Walter Farley
Vom Netzwerk:
1 Queen, die Mutterstute

    Wie an jedem Samstag war Tom Messenger auch an diesem ungewöhnlich kühlen Junimorgen die paar Kilometer von seinem Elternhaus bis zu der Trainingsbahn am Außenrand der Stadt Coronet in Pennsylvanien gewandert. Eine Weile blieb er unter einer großen Ulme stehen und starrte zu den gelblichgrauen Stallgebäuden hinüber, bis er endlich mit grimmigem Gesicht auf sie zuging. Sein Blick blieb fest auf die Stallungen gerichtet, er wandte seine Augen weder den Pferden zu, die auf der Halbmeilenbahn zu seiner Linken trainiert wurden, noch hörte er die rhythmischen Hufschläge über festgestampftem Lehmboden oder das Zungenschnalzen, mit dem die Fahrer in den zweirädrigen Trainings-Sulkys ihre Pferde ermunterten. Das war für den Sechzehnjährigen höchst ungewöhnlich.
    Nur zögernd, mit hängenden Armen, sein schmales, längliches Gesicht von Sorge verdunkelt, näherte er sich der verschlossenen Tür des letzten Stallgebäudes der Reihe. Durchs Fenster sah er die beiden älteren Männer, die mit dem Striegeln ihres Wallachs Symbol beschäftigt waren. Jimmy Creech stand am Kopf des großen, ein wenig grobknochigen Rappen. Wie immer hatte Creech seinen Wollschal dicht um den dürren Hals geschlungen und die Mütze über die Ohren gezogen. Die kräftige rote Nase war der einzige Farbklecks in seinem blassen Gesicht. Georg Snedecker, sein langjähriger Gehilfe und Freund, bückte sich auf der anderen Seite zu Symbols Hufen hinunter.
    Langsam öffnete der Junge die Tür und hörte Georg klagen: «Meine Beine tun mir schrecklich weh heute morgen, Jimmy!»
    «Wir sind eben nicht mehr die Jüngsten», brummte Jimmy. Gleich darauf sah er den Jungen im Türrahmen stehen. Er nickte wortlos hinüber und wandte sich dann wieder dem Wallach zu.
    Mit großer Anstrengung richtete sich Georg auf. «Guten Morgen, Tom!» sagte er. Während er den Kautabak von der einen in die andre Backe schob, wanderte sein Blick unbehaglich zwischen dem Jungen und Jimmy Creech hin und her. Dann nahm er ein Tuch aus der Tasche seines Overalls und rieb Symbols Hals damit ab, wobei er mit gespielter Nebensächlichkeit sagte: «Wir brauchen den Wallach nicht sorgfältig trockenzureiben, nicht wahr, Jimmy? Wenn er läuft, wird das der Wind besorgen.»
    Jimmy blickte müde auf Georgs grinsenden, tabakgebeizten Mund. «Sicherlich», murmelte er, «wir wollen ihn jetzt anschirren.»
    Der Junge stand stumm dabei, während sie Symbol das Geschirr auflegten und die Riemen an den Deichseln des Trainings-Sulkys befestigten. Jimmy nahm die langen Leinen in die Hände, als der Junge sagte: «Ist es wirklich wahr, Jimmy, daß du sie verkaufen willst? Hast du es dir noch nicht anders überlegt seit dem vorigen Samstag?»
    Creech gab Georg ein Zeichen, die Stalltüren zu öffnen. «Ich verkaufe sie», sagte er schnell, ohne Tom dabei anzusehen, «der Mann will diesen Morgen herkommen.»
    «Aber Jimmy! Es könnte doch durchaus sein, daß ihr Fohlen alle die guten Eigenschaften besitzt, die du dir wünschst. Warum willst du Queen denn gerade jetzt verkaufen?» fragte der Junge mit plötzlich aufsteigendem Ärger. «In drei Wochen wird sie ihr Fohlen zur Welt bringen. Warum machst du es denn nicht so, wie wir es geplant haben?»
    Creech zog seinen Schal noch fester um den Hals. Er starrte auf Symbols schwarze Schenkel, als er verbittert antwortete: «Ich wurde mir eines Nachts bewußt, daß es auch für mich ein verdammt später Zeitpunkt ist. Mir wurde klar, wie alt ich bin — ein Sportsmann mit 59 Jahren... daß ich zumindest nicht mehr das Recht habe, so weit vorauszudenken. Ich muß ja mindestens mit zwei Jahren rechnen, bevor Queens Sohn auf die Bahn kann. Das ist der Grund, Tom! Es tut mir leid.»
    «Aber Jimmy, du bist nicht gescheit! Du bist doch nicht alt! Du bist...»
    Creech führte Symbol hinaus. Der Junge blickte ihm nach, bis er um die Ecke des Stalls verschwunden war, dann wandte er sich Georg zu, der sich schwerfällig in seinem Stuhl neben der Tür niedergelassen hatte. «Was ist denn bloß in Jimmy gefahren? Warum redet er so krauses Zeug?»
    «Sein Magen macht ihm wieder zu schaffen», sagte Georg, «allerdings sind 59 Jahre für einen Sportsmann ein erhebliches Alter. Jahrelang merkst du gar nichts und hältst dich für einen jungen Burschen, bis du dann eines Morgens aufwachst und das Gefühl hast, jeder Knochen und Muskel deines Körpers sei morsch. Mir ist es genauso ergangen, und jetzt ist Jimmy soweit.»
    Der Junge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher