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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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und dasVordeck überspülten, hin und wieder auch seitlich hereinschwappten. Chuck löste ihn um vier ab. Schlaf ein bisschen, sagte er.
    Wie weit draußen sind wir?, fragte Jim. Hundert Meilen mindestens hätte ich gern die ganze Strecke über.
    Das lässt sich machen, sagte Chuck. Wobei wir irgendwann tanken müssen. Oregon wahrscheinlich.
    Jim ging hinunter und streckte sich in einer kleinen Koje aus, die fürchterlich nach Chucks altem Schweiß und nach Alkohol stank. Er hatte Hunger, war aber zu müde, also versuchte er zu schlafen.
    Ein fahrendes Boot ist eine geräuschvolle Angelegenheit. Das hatte er gewusst. Aber diese Bootswände knarrten und knallten verhängnisvoll. Und der Dieselmotor lief extrem unregelmäßig, mal niedrigtourig und dann wieder rasend schnell, und das lag nicht nur an Dünung und Kavitation. Jim rollte sich ein vor Angst und Erschöpfung und wartete darauf, dass es vorbeiging, wartete auf den Schlaf, aber vor lauter Angst und Warten dachte er zu viel nach. Er dachte an die Steuerbehörde, den Sheriff, die Küstenwache, seinen Bruder, Elizabeth, Tracy, Rhoda und Roy. Er malte sich eine lange Unterhaltung mit Rhoda aus, in der er sie davon zu überzeugen versuchte, dass er Roy nicht getötet habe. Er wies sie darauf hin, dass Roy dreizehn gewesen sei, dass er einen eigenen Willen gehabt, dass er seine eigenen Entscheidungen getroffen habe.
    Seine eigenen Entscheidungen?, fragte Rhoda.
    Ich war’s ja nicht, sagte Jim. Das war doch nicht meine Idee, dass er sich umbringt.
    Nicht deine Idee, Jim?
    Nein, würde er Rhoda erklären. Dann aber beichtete er ihr noch etwas. Er erzählte ihr, wie er an die Decke geschossen hatte.
    Und wozu?
    Keine Ahnung. Ich habe einfach nur geschossen.
    Einfach nur geschossen?
    Maul halten, sagte Jim laut in der Dunkelheit, aber er konnte seine eigenen Worte kaum verstehen, so ein Krach herrschte hier. Und dann sorgte er sich um ihren Kurs. Wie sollte er merken, wenn das Boot umschwenkte, wenn Chuck beschloss, zurückzufahren? Und was war mit den Inseln? Das war eine irrationale alte Angst von ihm. Wenn er mit dem Boot unterwegs war, fürchtete er immer, auf Inseln aufzulaufen, die nicht auf der Karte verzeichnet waren, selbst mitten auf dem Meer.
    Er konnte den Kopf nicht stillhalten. Darum schlief er nicht. Egal, wie fest er den Kopf zwischen einige Hemden und das Kojensegel klemmte, er konnte ihn nicht am Wackeln hindern, wenn das Boot wackelte. Er konnte den Nacken nicht entspannen. Und die Barthaare am Kinn rieben sich bei jeder Bewegung an den Hemden. Roy war noch nicht so weit gewesen, richtigen Bartwuchs zu entwickeln. Er hatte allmählich Pfirsichflaum bekommen. Einmal hatten sie übers Rasieren gesprochen, Roy hatte Sorge gehabt, sich zu schneiden, und nicht gewusst, dass der Scherkopf mitschwenkte. Jim schmunzelte. Dann weinte er wieder und verfluchte seine Schwäche. Er sah sich in Mexiko und vielleicht eines Tages im Südpazifik, da unten bei dem schönen Wetter mit herrlichem warmem Wasser und den grünen Bergen, und sah, dass er immer noch allein wäre. Roy würde nie nachkommen. Und er fragte sich, wie Roys Grab aussah. Er würde es nie zu Gesicht bekommen.
    Jim sah zur anderen Seite hinüber, ob Ned auch wach war, aber das war offensichtlich nicht der Fall.
    Jim lag mit geschlossenen Augen am Kojensegel und fandkeinen Halt. In ihm war alles verweht, ein Vakuum. Ihm war alles egal. Es wäre besser gewesen, er hätte sich umgebracht, aber das hatte Roy für sich beansprucht, jetzt konnte er das nicht mehr tun. Roy hatte sich statt seiner umgebracht, ein glatter Deal, und deshalb war Jim für Roys Selbstmord verantwortlich. So hätte es nicht ausgehen dürfen, aber weil Jim feige war, weil er nicht den Mumm gehabt hatte, sich einfach umzubringen, bevor Roy zurückkam, hatte er den Augenblick verpasst, den einen Augenblick, um alles zurechtzurücken, und hatte diese Chance für immer verwirkt, hatte Roy die Pistole gereicht und ihn gebeten, die Probleme auf seine Art zu lösen, auch wenn es nicht die richtige Art war.
    Und Roy hatte es getan. Roy war kein Feigling gewesen, ohne mit der Wimper zu zucken hatte er sich den Lauf an die Schläfe gehalten, abgedrückt und sich den halben Kopf weggepustet. Und Jim hatte das nicht begriffen, als er den Schuss hörte. Damals, zu dem Zeitpunkt, hatte er das dargebrachte Opfer nicht erkannt.
    Jim hatte es selbst dann noch nicht geglaubt, als er Roys Leiche in der Tür fand mit seinem Blut und seinem Hirn und
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