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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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nicht ans Telefon und änderte schließlich ihre Nummer, und die neue Nummer tauchte in keinem Verzeichnis auf, und er konnte Ketchikan nicht verlassen und keinen Bekannten erreichen, der ihm ihre neue Nummer gegeben hätte. Alle, sogar sein Bruder und seine Freunde, waren gegen ihn. Die Einzige, die er nicht anrief, war Rhoda. Das konnte er nicht, denn in gewisser Weise hatte auch sie Roy getötet.
    Jim versuchte herauszufinden, wie er die Tage zubringen sollte. Irgendwann würde er wieder in sein Leben zurückkehren müssen. Er konnte nicht die nächsten fünfzig Jahre hiersitzen und vor sich hin leiden. In Wahrheit allerdings hatte er Angst. Er wusste nicht recht, wie er beweisen sollte, dass er seinen Sohn nicht getötet hatte.
     
    Kurz nach zwei Uhr morgens wurde Jim bewusst, dass er seit einem knappen Jahr nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte. Also zog er sich an und machte sich auf die Suche nach einer Prostituierten.
    Die Straßen waren nass, der Nebel kam nah heran. Vom Hafen und von der Straße wurden die Geräusche eigenartig herübergetragen. Angelglocken, Nebelhörner, Möwen und das Zischen von Reifen auf Asphalt. Er lief zu seiner alten Praxis im Zentrum.
    Sie hatten die Fassade erneuert. Sie sah jetzt moderner aus und war dunkelgrün gestrichen. Goldlettern an den Fenstern mit den Namen der Zahnärzte, zwei an der Zahl.
    Ich hätte hierbleiben können, sagte er. Wenn ich nicht fremdgegangen wäre und alles kaputt gemacht hätte. Wenn ich meine Frau hätte ertragen können. Wenn der Lachs wie ein Vogel durch die Straßen geflogen wäre.
    Er wusste nicht recht, was er mit dieser Praxis anfangen sollte. Er wandte ihr den Rücken zu, überquerte die Straße und lief auf der anderen Seite zurück Richtung Konservenfabriken.
    Im Sommer waren die Fabriken voller Collegestudenten, doch jetzt, im Frühling, waren sie verwaist. Jim kam an einem alten Mann vorbei, der vor einer Fabrik auf der Bank saß, sie schenkten einander keine Beachtung. Er lief weiter an allen Konservenfabriken vorbei, fand aber keine Prostituierten. Aus einer Laune heraus ging er ins alte Rotlichtviertel am Fluss, wohl wissend, dass er dort keine Frauen finden würde. Er stellte sich ans Holzgeländer, blickte ins grünschwarze Wasser, das zügig ins Meer floss, und gab es auf.
    Statt allerdings ins Hotel zurückzukehren, lief er in die entgegengesetzte Richtung, raus aus der Stadt. An den Konservenfabriken vorbei, am Highway entlang, durch Nebel und Nieselregen, der einzige Fußgänger auf der Straße. Es tat gut zu laufen, und es tat gut, alleine draußen zu sein. Sehr viel länger würde er es in dem Hotel nicht aushalten.
    Der Wald zu beiden Seiten der Straße ragte undeutlich aus dem Nebel. Draußen auf der Insel war es besser gewesen, das erkannte er jetzt. Da hatte er noch an seine Rettung geglaubt, und er hatte zu Roy gehen und mit ihm reden können. Jetzt war Roy eintausendfünfhundert Meilen weit weg.
    Ein dunkelgrüner Pickup kam aus dem Nebel geschossen und musste Jim ausweichen. Etwa dreißig Meter weiter blieb er stehen, und zwei Männer blickten Jim durch den Rückspiegel an. Lange Zeit blickten sie ihn an; Jim stand da und starrte zurück, bis sie weiterfuhren. Er hatte aber Angst, dass sie mit Verstärkung wiederkommen würden. Es war dumm, hierzubleiben. Ein zu großes Risiko. Dann wurde ihm klar, wie paranoid das war, schließlich kannte ihn keiner.
    Jim ging trotzdem schnell zurück, auf derselben Straßenseite, und versteckte sich im Gebüsch, sobald er ein Auto hörte. Es war ein langer Weg zurück in die Stadt. Er hatte gar nicht gemerkt, wie weit er gelaufen war. Kurve um Kurve, und zweimal tauchte die Küste durch den Nebel auf, ruhiges graues Wasser unter verschleiertem Mondlicht.
    Endlich erreichte er die Konservenfabriken und versteckte sich nicht mehr vor den Autos. Er ging am alten Rotlichtviertel vorbei und an der Touristenmeile, am Zentrum und um die Landspitze herum ins Hotel. Es war beinahe dunkel, trotzdem raffte er seine paar Habseligkeiten zusammen: Kleidung zum Wechseln in einer Plastiktüte, Rasierer und Shampoo, Brieftasche, Stiefel. Er stopfte alles in einen Sack, hinterließKirk eine Nachricht, Danke, dass du mich über den Tisch gezogen hast, und machte sich auf zur Fähre, die ihn zum Flughafen bringen würde.
    Das Fährterminal war gut drei Meilen entfernt, über die Jackson Street hinaus am Rande der Stadt. Müde und hungrig kam er dort an, und nirgends gab es etwas zu essen. Als er auf
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