Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
den Fahrplan sah, musste er feststellen, dass dies nicht das richtige Terminal für die Fähren zum Flughafen war. Hier gingen die großen Fähren des Alaska Marine Highway System ab, die ganz hoch bis nach Haines fuhren und runter nach Washington.
    Er kam zu dem Schluss, dass er gar nicht fliegen musste. Er musste nur weg, und frühmorgens ging eine Fähre nach Haines. Er würde auf einer der Bänke schlafen.
    Auf der Fähre bestellte er sich einen Hotdog und eine Minipizza und Frozen Yogurt. Die stetige Vibration und das Motorengeratter unter ihm wirkten beruhigend. Ihm kam der Gedanke, dass er sehr viel glücklicher gewesen wäre, wenn er sein ganzes Leben unterwegs verbracht hätte. Diese Fähren waren schwer und robust und rollten und stampften fast nie. Hier beim Essen fühlte er sich jedenfalls anders. Und dann dachte er wieder über seine Segeltour in den Südpazifik nach. Wenn er die ganze Geschichte gut hinter sich brächte, würde er es vielleicht versuchen. Das hätte er gern jemandem mitgeteilt, hätte es gern jemandem erzählt, um herauszufinden, wie es sich anhörte.
    Jim sah sich um, aber alle Menschen saßen in Gruppen zusammen. Er aß sein Essen auf und spazierte anschließend auf der Suche nach einer Einzelperson an der Reling auf dem Oberdeck herum, doch dieses Schiff schien, zumindest an Deck, wie Noahs Arche zu sein, es gab nur Paare.
    Obwohl er nicht trank, ging er in die Bar, selbst am Morgenwohl der geeignete Ort. Und tatsächlich saß dort eine Frau allein an einem Tisch. Dunkles Haar und traurige Miene, vielleicht auch nur gelangweilt. Sie sah ein paar Jahre jünger aus als er. Und sah nicht aus, als wartete sie auf jemanden.
    Darf ich mich zu Ihnen setzen?, fragte er.
    Von mir aus, sagte sie, was jedoch so abfällig klang, so gelangweilt, dass er zögerte. Sie sah ihn nur an.
    Na schön, sagte er und setzte sich.
    Nicht, dass Sie mir damit einen Gefallen tun, sagte sie.
    Jim stand auf und ging. Er stellte sich ans Heck und starrte ins Kielwasser. Er hatte dieser Frau von Roy erzählen wollen. Er wollte einfach einer Person die ganze Geschichte erzählen, um sie zu begreifen. Denn wenn er sie ruhen ließ, schien es einfach mehr und mehr so, als hätte er Roy getötet.
    Jim hatte Mühe, darüber nachzudenken. Er starrte ins Kielwasser. Obwohl es ausfächerte, sich verlief und auflöste, blieb es aus seiner Sicht immer gleich. Es holte das Schiff nie ein, verlor sich aber auch nicht. Vielleicht bedeutete das etwas, aber Jim fragte sich nur, wie sein Leben jetzt aussah, und er wusste es nicht. Eins hatte sich aus dem anderen ergeben, ihm aber erschien es willkürlich und seltsam, dass sich alles so entwickelt hatte.
    Jim roch hier hinten die Dieselabgase. Da dachte er voller Wehmut an die Osprey , sein Fischerboot. Er war am Ende gescheitert und hatte das Boot verkaufen müssen, aber eigentlich war es kein Scheitern gewesen. Er hatte gemeinsam mit seinem Bruder Gary Thunfisch und Heilbutt eingefahren; er hatte die Fischereiflotte kennengelernt, all die Norweger, auch wenn er nicht richtig mit ihnen geredet hatte. Er hatte ihnen über Funk zugehört, ihrem Funkcheck morgens und abends, ihren Fischereiberichten, ihrer Abendunterhaltung.Sie hatten abwechselnd alte Lieder gesungen und Mundharmonika gespielt und sogar Akkordeon. Es war eigentlich eine tolle Zeit gewesen, auch wenn sein Bruder und er Außenseiter gewesen waren. Blechbüchse hatten sie sein Boot genannt, wegen des Rohaluminiums. Die meisten von ihnen hatten ältere Holzboote gehabt, einige Fiberglasboote. Gelegentlich hatten sie über ihn gesprochen, aber das war nie eine Aufforderung gewesen, sich ihrer Funkunterhaltung anzuschließen. Ihm fehlte dieses Leben. Er wünschte, es hätte funktioniert. Roy hätte im Sommer auf dem Boot arbeiten können.
    Eines Nachts hatten die Norweger ein Boot verloren. Sie meldeten sich morgens beim Einchecken, und keiner wusste, wo dieses eine Boot abgeblieben war. Sie sprachen hauptsächlich Norwegisch, aber auch so viel Englisch, dass Jim und Gary wussten, was vor sich ging. Sie waren selbst einmal abgetrieben, nachdem ihr Driftsack gerissen war. Das Wasser war viel zu tief für Grundanker, also hatte die gesamte Flotte ihre Driftsäcke über den Bug ausgebracht und war so beisammengeblieben, doch in der Nacht riss ihr Driftsack, und Jim und Gary wachten weitab der Flotte auf, ohne Fischerboote und direkt in den Schifffahrtsrinnen. Genau das musste mit dem norwegischen Boot passiert sein, und man
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher