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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier
Autoren: David Brooks
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Einleitung
    Dies ist die glücklichste Geschichte, die Sie je gelesen haben. Sie handelt von zwei Menschen, die wunderbar erfüllende Leben führten. Sie hatten spannende Berufe, genossen das Ansehen ihrer Freunde und leisteten bedeutende Beiträge zum Wohl ihrer Gemeinde, ihres Landes und der Welt.
    Dabei waren sie keine geborenen Überflieger. Bei Studierfähigkeits- und IQ -Tests und dergleichen schnitten sie durchschnittlich ab, und sie besaßen auch keine anderen außergewöhnlichen körperlichen oder geistigen Fähigkeiten. Sie waren nicht unansehnlich, aber keineswegs besonders attraktiv. Sie spielten Tennis und gingen wandern, aber selbst auf der Highschool waren sie keine ausgesprochenen Sportskanonen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie auf irgendeinem Gebiet jemals Großes vollbringen würden. Und doch gelang ihnen dies, und jeder, der ihnen begegnete, spürte, dass sie ein glückliches Leben führten.
    Wie sie das schafften? Sie besaßen das, was Ökonomen nicht-kognitive Kompetenzen nennen – ein Sammelbegriff für verborgene Eigenschaften, die nicht ohne Weiteres messbar sind, die aber die Voraussetzung für Glück und Erfüllung bilden.
    Allen voran hatten sie einen guten Charakter. Sie waren tatkräftig, ehrlich und zuverlässig. Sie ließen sich von Rückschlägen nicht entmutigen und gaben ihre Schwächen und Fehler offen zu. Sie hatten genug Selbstbewusstsein, um Risiken einzugehen, und genug Integrität, um ihren selbstgesteckten Anforderungen gerecht zu werden. Sie bemühten sich, ihre Schwächen zu erkennen, ihre Verfehlungen wiedergutzumachen und ihre niederen Regungen in Schach zu halten.
    Außerdem besaßen sie praktische Intelligenz und Empathie. Sie konnten Menschen, Situationen und Ideen richtig einschätzen und deuten. Man konnte sie vor eine Menschenmenge stellen oder sie unter einem Stapel von Berichten begraben – sie waren immer in der Lage, sich intuitiv auf dem jeweiligen Gebiet zurechtzufinden und einen erfolgversprechenden Kurs einzuschlagen. So sicher, wie ein Kapitän die Meere befährt, so sicher navigierten sie durch die Welt.
    Im Lauf der Jahrhunderte wurden zahllose Bücher über die Frage geschrieben, was man tun kann, um im Leben erfolgreich zu sein. Aber diese Ratgeber bleiben in der Regel an der Oberfläche. Sie listen auf, welche Hochschulen man besuchen, welche beruflichen Qualifikationen man sich aneignen und welche Entscheidungen man treffen sollte, und sie geben Tipps, wie man sich am effizientesten vernetzt und am schnellsten Karriere macht. Solche Bücher konzentrieren sich oftmals auf Erfolg in einem äußerlichen Sinne, der mit Intelligenz, Reichtum, Ansehen und anderen irdischen Gütern zu tun hat.
    In diesem Buch schürfen wir tiefer. Die hier erzählte Erfolgsgeschichte betont die Rolle der psychischen Tiefenschichten – den unbewussten Bereich der Emotionen, Intuitionen, Vorlieben, Sehnsüchte, erblichen Veranlagungen, Charakterzüge und verinnerlichten gesellschaftlichen Normen. In diesem innerpsychischen Raum werden die Persönlichkeit ausgebildet und die praktische Intelligenz entwickelt.
    Wir erleben gerade eine Revolution in der Erforschung des Bewusstseins. In den letzten Jahren haben Genetiker, Neurowissenschaftler, Psychologen, Soziologen, Ökonomen, Anthropologen und andere große Fortschritte dabei gemacht, die Bausteine erfolgreicher menschlicher Persönlichkeitsentwicklung und Selbstentfaltung zu verstehen. Und ein zentrales Ergebnis ihrer Forschungen lautet, dass wir in erster Linie nicht die Produkte unserer bewussten Denkprozesse sind. Vielmehr sind wir weitgehend die Produkte unserer unbewussten Denkprozesse.
    Die unbewussten Teile unserer Psyche sind keine primitiven Überreste, die vom Bewusstsein gleichsam erobert werden müssten, damit wir kluge Entscheidungen treffen können. Sie sind keine finstren Höhlen voll unterdrückter sexueller Triebe. Vielmehr machen die unbewussten Teile das Gros der Psyche aus – hier finden die meisten Entscheidungen und die eindrucksvollsten Denkvorgänge statt. Diese im Verborgenen ablaufenden Prozesse bilden den Nährboden für hervorragende Leistungen.
    In seinem Buch Strangers to Ourselves schreibt Timothy D. Wilson von der University of Virginia, das menschliche Gehirn könne zu jedem beliebigen Zeitpunkt elf Millionen Informationseinheiten aufnehmen. Bewusst wahrgenommen werden davon – großzügig geschätzt – höchstens 40. 1 »Einige Forscher«, so
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