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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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entfernt, aber sie würden es auch in der kalten Zeit benutzen, im Schnee. Sein Vater ging weiter.
    Von da oben hat man einen schönen Ausblick, sagte er.
    Durch Brennnesseln und Beeren gelangten sie auf eine Anhöhe, die Erde, die überwuchert war, seit man sie das letzte Mal betreten hatte, brach unter ihren Füßen auf. Sein Vater war vor vier Monaten hergekommen, um einen Blick darauf zu werfen, bevor er es kaufte. Dann hatte er Roy und Roys Mutter und die Schule überredet. Er hatte seine Praxis und sein Haus verkauft, alles geplant und die Ausrüstung besorgt.
    Oben war der Hügel so überwuchert, dass Roy gar nicht groß genug war, um ungehindert nach allen Seiten blicken zu können, aber er konnte den Meeresarm sehen, der wie ein glänzender Zahn aus dem von Wellen geschüttelten Wasser weiter draußen hervorspitzte, und die Ausläufer zu einer weiteren fernen Insel oder Küste und den Horizont. Die Luft war sehr klar und hell und die Entfernungen unmöglich abzuschätzen. Er sah die Dachspitze dicht unter sich und um die Bucht herum das Gras und das Tiefland, das nirgendwoweiter als dreißig Meter auslief. Der steile Berg hinter ihnen verschwand oben in den Wolken.
    Niemand sonst hier weit und breit, sagte sein Vater. Soweit ich weiß, ist unser nächster Nachbar zwanzig Meilen entfernt, eine kleine Gruppe von drei Hütten in einer ähnlichen Bucht. Aber die sind auf einer anderen Insel, und ich kann mich nicht erinnern, auf welcher.
    Roy wusste nicht, was er sagen sollte, also sagte er nichts. Er hatte keine Ahnung, wie das alles werden würde.
    Sie wanderten zur Hütte zurück, durch einen süßen, bitteren Geruch, der von einer der Pflanzen kam, ein Geruch, der Roy an seine Kindheit in Ketchikan erinnerte. In Kalifornien hatte er ständig an Ketchikan und den Regenwald gedacht und es sich in seinen Phantasien und seinen Prahlereien gegenüber seinen Freunden als wilden, geheimnisvollen Ort ausgemalt. Wieder mittendrin war die Luft allerdings kälter, und die Pflanzen waren saftig, aber eben doch nur Pflanzen, und er fragte sich, wie sie sich die Zeit vertreiben würden. Die Dinge waren lediglich sie selbst und sonst nichts.
    In ihren Stiefeln stapften sie auf die Veranda. Sein Vater öffnete das Schloss an der Tür und schwang sie weit auf, damit Roy als Erster hineinging. Roy roch, als er eintrat, Zeder und Feuchtigkeit und Schmutz und Rauch, und es dauerte ein paar Minuten, bis sich seine Augen so weit eingestellt hatten, dass er mehr als die Fenster sehen und nach und nach die Balken oben erkennen konnte und wie hoch die Decke war und wie rau die Bohlen an den Wänden und auf dem Fußboden mit ihren ausgesägten Astlöchern aussahen, die sich aber trotzdem weich anfühlten.
    Alles wirkt so neu, sagte Roy.
    Das ist eine stabile Hütte, sagte sein Vater. Durch diese Wände kommt kein Wind. Wir haben es gemütlich, solangegenug Holz für den Ofen da ist. Wir haben den ganzen Sommer, um uns auf all diese Dinge vorzubereiten. Wir lagern auch getrockneten und geräucherten Lachs und machen uns Marmelade und salzen Wild ein. Du glaubst gar nicht, was wir hier alles machen werden.
    Als Erstes machten sie die Hütte sauber. Sie fegten und wischten, dann führte sein Vater Roy mit einem Eimer an einen kleinen Bach, der in die Bucht mündete. Er floss tief durch die kurze Wiese und wand sich drei, vier Mal durchs Gras, bevor er über das Kiesbett austrat und einen kleinen Schwemmfächer Sand, Grus und Geröll ins Salzwasser ablud. Auf der Oberfläche saßen Wasserwanzen und Mücken.
    Einschmieren, sagte sein Vater.
    Die sind überall, sagte Roy.
    So viel Frischwasser, wie wir wollen, sagte sein Vater stolz, als hätte er den Bach dort eigenhändig angelegt. Wir werden gesund trinken.
    Sie rieben sich Insektenschutz auf Gesicht, Handgelenke und Nacken und machten sich daran, alles in der Hütte mit Bleiche und Wasser abzuwaschen, um den Schimmel zu vernichten. Dann trockneten sie es mit Lumpen ab und brachten ihre Sachen rein.
    Die Hütte hatte einen Vorderraum mit den Fenstern und dem Ofen und ein Hinterzimmer oder vielmehr eine Abseite ohne Fenster mit einem großen Schrank.
    Hier schlafen wir, sagte sein Vater, im großen Zimmer am Ofen. Unser Zeug packen wir nach hinten.
    Sie trugen die Sachen rein und stellten das, was am kostbarsten war und unbedingt trocken bleiben musste, in den Schrank. Sie verstauten die Vorräte, die Dosen an der Wand, die Dauerkonserven in Plastik in der Mitte, Kleidung und Bettzeug an
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