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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Atem. Ein leichter Wind in den Wipfeln, aber nicht stetig. Dichtes Moos wuchs am Fuß der Bäume und über ihren Wurzeln, und fremde Blumen, die Roy jetzt von Ketchikan wiedererkannte, tauchten plötzlich an komischen Stellen auf, hinter Bäumen und unter Farnen und dann mitten auf einem Wildpfad, rot und dunkellila in wurzeldicken Strünken, die aussahen wie aus Wachs. Und Fallholz überall, nur alles verfault, einmal aufgehoben, fiel es dunkelrot und braun auseinander. Rechtzeitig erinnerte er sich daran, bei den Brennnesseln nicht das Haar anzufassen, das wie Seide aussah, und er erinnerte sich an dieZinken, so hatten sie sie genannt, wobei das Wort jetzt komisch klang. Er erinnerte sich, wie sie sie mit Steinen von den Bäumen geklopft und mit nach Hause genommen hatten, um ihre glatten weißen Gesichter zu beschnitzen. Am deutlichsten erinnerte er sich an das permanente Gefühl, beobachtet zu werden.
    Auf diesem ersten Ausflug blieb er dicht bei seinem Vater. Dass sie kein Gewehr bei sich hatten, erschreckte ihn. Er suchte nach Bärenspuren, hoffte beinahe darauf, welche zu finden. Ständig musste er sich ermahnen, dass er eigentlich nach Holz suchte.
    Wir müssen neues hacken, sagte sein Vater. Nichts von dem hier ist frisch genug. Die Holzfäule setzt zu schnell ein. Kommt dir irgendwas vertraut vor? Erinnerst du dich an Ketchikan?
    Schon.
    Das ist hier nicht wie Fairbanks. Alles fühlt sich anders an. Vielleicht war ich zu lange am falschen Ort. Ich hatte vergessen, wie gern ich am Wasser bin und wie gern ich die Berge so nah bei mir habe und den Geruch des Waldes. Fairbanks ist so trocken, und die Berge sind bloß Hügel, und ein Baum ist wie der andere. Alles Papier-Birken und Fichten, mehr oder weniger, endlos. Ich habe immer aus dem Fenster geguckt und mir gewünscht, mal andere Bäume zu sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich habe mich seit Jahren nicht mehr zu Hause gefühlt, an keinem Ort mehr dazugehörig, egal wo. Irgendwas fehlte, aber ich hab das Gefühl, hier, mit dir, wird es wieder gut. Verstehst du, was ich meine?
    Sein Vater sah ihn an, und Roy wusste nicht, wie er so mit seinem Vater reden sollte. Schon, sagte er, aber das stimmte nicht. Er verstand nicht im Geringsten, was sein Vater eigentlich sagte oder warum er das alles sagte. Und wenn es sichnicht so entwickeln würde, wie sein Vater behauptete? Was dann?
    Alles klar?, fragte sein Vater und legte den Arm um die Schultern des Jungen. Wir packen das schon. Okay? Ich rede nur so. Okay?
    Roy nickte und entwand sich seinem Vater, um weiter nach Holz zu suchen.
    Sie trugen das wenige, was sie gefunden hatten, in die Hütte, es war wirklich kaum der Rede wert. Sein Vater holte die Axt. Als er in den Himmel blickte, änderte er seine Meinung. Also, es wird schon etwas spät hier, und wir brauchen was zu essen, und wir müssen unsere Betten machen und so, da sollte das hier vielleicht noch warten.
    Sie nahmen das trockene Holz, das in der Kiste hinter der Hütte lag, die, wie sie herausfanden, von drinnen durch eine Klappe zu erreichen war, und entfachten damit im Ofen ein Feuer.
    Das wird auch unsere Heizung, sagte sein Vater. Das hält uns mollig warm, und wir können es die ganze Nacht glimmen lassen, wenn wir den Abzug schließen.
    Das werden wir brauchen, sagte Roy. Wobei er wusste, dass es hier nicht wie in Fairbanks werden würde. Minusgrade wären selten. Das hatte sein Vater allen zugesichert. Er hatte in ihrem Wohnzimmer gesessen, die Ellbogen auf den Knien, und betont, wie sicher und leicht das alles werden würde. Roys Mutter hatte eingewandt, die Voraussagen seines Vaters hätten sich selten bewahrheitet. Seinem Protest hatte sie die Fischerei entgegengesetzt, die Investition in den Eisenwarenladen und mehrere seiner Zahnarztpraxen. Die Ehen hatte sie nicht erwähnt, aber das verstand sich von selbst. Sein Vater hatte das alles ignoriert und ihnen erzählt, die meiste Zeit werde es über null sein.
    Als das Feuer brannte, holte Roy Chili-Büchsen aus dem Nebenzimmer, sein Vater wollte obendrauf noch Brot rösten. Es war dämmerig in der Hütte, obwohl noch Nachmittag war und die echte Dunkelheit erst sehr spät eintreten würde. Daran konnte er sich erinnern, an all die Abende, da er als kleiner Junge ins Bett hatte gehen müssen, obwohl es draußen noch hell gewesen war. Er wusste nicht recht, welche Regeln jetzt galten, offenbar waren jedoch die üblichen bezüglich Hausaufgaben und Zubettgehen außer Kraft gesetzt. Er
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