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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Autoren: Hans Bankl
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der Kommissar das Halsband des Opfers auf den Tisch legt oder ein Ohrring die Identität verrät. Besonders schaurig wird es dann, wenn ein Verwandter zu den Kühlboxen oder in den Seziersaal tritt, das - in der Realität nie vorhandene - Tuch feierlich ein kleines Stück angehoben wird und wir nur mehr die tränenerstickten Worte vernehmen: »Ja, das ist er!«
    Eine Leiche nur durch einen Blick auf das Gesicht zu identifizieren ist höchst problematisch. Leichengesichter sehen anders aus als lebendige! Selbst erfahrene Leichenbeschauer sind immer wieder erstaunt, und mir selbst ergeht es oft so, dass sie die Gesichter
von ihnen bekannten Personen fast nicht wiedererkennen. Charakteristischer sind dabei schon Narben, Tätowierungen und vor allem die Zähne.
    Vorhandene Röntgenbilder können entscheidende Hinweise geben. Ein besonderes Kunststück gelang 1972 Röntgenologen in den USA. Von einer toten Frau war nur mehr ein Schlüsselbein übrig geblieben. Man verglich es mit der Röntgenübersichtsaufnahme des Brustkorbes, welche zu Lebzeiten von der vermuteten Person angefertigt worden war. Es ließen sich so viele übereinstimmende Merkmale feststellen, dass die Identifikation zweifelsfrei ermöglicht wurde.

    Schwierig ist vor allem das Vorgehen bei Massenkatastrophen. Hier gehören Top-Spezialisten ans Werk:
    Bei einem Terroranschlag im ägyptischen Luxor wurden 58 Touristen getötet. Die örtlichen Behörden zogen zur Identifikation lediglich Passbilder und die Angaben von Überlebenden der Reisegruppen heran. Resultat war, dass viele Leichen falsch zugeordnet wurden. Opfer aus England wurden in die Schweiz überführt und umgekehrt.
    Schlimm zugerichtet sind auch die Toten nach Flugzeugabstürzen. Es existieren nur mehr verbrannte und zertrümmerte Leichenteile, die Körper sind oft in zahlreiche Einzelteile zerlegt. Dies macht aufwendige Identifizierungsmaßnahmen nötig. Kommt man allerdings zu spät an den Unfallort, so sind unter Umständen Körperteile bereits von Tieren verschleppt worden. Andererseits können Teile übrig bleiben, von denen sich nicht mehr eruieren lässt, von wem sie stammen.
    Immer noch am besten geeignet für eine Identifizierung ist das Gebiss. Einerseits ist ein Gebissabdruck einmalig und charakteristisch wie ein Fingerabdruck, andererseits bleiben Zähne und Zahnprothesen auch bei sonstiger Zerstörung des Körpers meistens erhalten. Das nützt aber alles nichts, wenn es keine Röntgenbilder oder Zahnarztbefunde gibt. So war es z. B. bei den Opfern der Zivilbevölkerung in Serbien und im Kosovo. Viele blieben unidentifiziert oder wurden nach Willkür zugeordnet.
    Was tun, wenn der Kopf überhaupt nicht vorhanden ist?
    13. Juni 1973: Nach einer Bombenexplosion auf der Autobahn nahe Wien wird die Gendarmerie alarmiert und findet einen Erdkrater an der Böschung. An der verbogenen Leitplanke kleben ein paar blutige Fleischteile, sonst sehen die Beamten auf den ersten Blick nichts. Die folgenden Worte sind in die österreichische Kriminalgeschichte eingegangen. »Also, Verkehrsunfall ist das keiner!« sagte der eine Gendarm zum anderen und schüttelte den Kopf. »Schaut so aus«, antwortete sein Kollege,
»als hätte es da jemanden zu Putzfetzen 1 zerrissen.« Wenig später wimmelte es an der Stelle von Untersuchungsexperten.
    Man wusste zunächst nicht einmal, ob es sich um Teile eines Menschen oder eines Tieres handelte. Der herbeigeholte Gerichtsmediziner erkannte rasch, dass die Leichenteile zu einem Menschen gehört hatten, und schlug vor, das Gelände im großen Umkreis nach weiteren Leichenresten absuchen zu lassen. Es konnten 400 menschliche Leichenteile mit einem Gesamtgewicht von 16 kg eingesammelt werden. Man fand keine Kleidungsstücke, nur Reste eines Jutesackes, ein Kofferschloss, zerfetzte Novopanplatten und Reste einer Sprengvorrichtung, die mit Donarit geladen war, sowie eine Junghans-Uhr als Zeitzünder. So weit konnte das Materielle rekonstruiert werden.
    Rätselhaft war jedoch die Identität des Toten. Und da wurde es schwierig - denn es fehlte der Schädel. Trotz genauester Suche konnte weder ein Auge noch ein Ohr noch sonst etwas gefunden werden, das zu einem menschlichen Gesicht gepasst hätte. Man zog daraus den Schluss, das Opfer sei zum Zeitpunkt der Explosion bereits tot gewesen und man habe den Kopf abgetrennt. Bei der Untersuchung der menschlichen Überreste wurde ein etwa kirschgroßes Stück Leber gefunden, das mikroskopisch das Bild der Fettleber - wie
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