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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Autoren: Hans Bankl
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die auf die Entstehung der Gerichtsmedizin Einfluss nahm, sondern arabisch-jüdische Strömungen. In diesem Kulturkreis spielte das
Recht eine große Rolle und eine Rechtsmedizin kann ja erst im Zusammenhang mit etablierten juristischen Grundlagen entstehen. Durch die Kreuzzüge kam es zum ärztlichen Kontakt mit dem Orient, andererseits fand der Kulturaustausch im arabisch besiedelten Spanien statt. Im ältesten deutschen Rechtsbuch, dem »Sachsenspiegel« aus der Zeit um 1235, findet man die ersten gerichtsmedizinischen Anklänge. Später kam es in den Statuten der aufblühenden Städte zur Integration der Medizin ins öffentliche Leben. Die Städte stellten besoldete Ärzte und Hebammen ein, die sich mit medizinischen Fragen des öffentlichen Wohls und natürlich auch der Aufklärung von Straftaten zu beschäftigen hatten. Das Denken der Menschen verließ die auf das Jenseits gerichtete Welt des Mittelalters und wandte sich der auf das Diesseits gerichteten Neuzeit zu. In der » Peinlichen Gerichtsordnung« des Kaiser Karl V., der so genannten » Carolina« von 1532, steht beispielsweise über die ärztliche Begutachtungspflicht »Von besichtigung eines entleibten vor der Begrebnuss« oder »So einer geschlagen wirdt und stirbt, und man zweiffelt, ob er an der Wunden gestorben sei«. In der » Carolina« ist auch vermerkt, dass der Gesetzgeber sich von ärztlichen Spezialisten beraten ließ. Das war eine ungeheure Erweiterung des Einflusses der Mediziner. Ärzte können bekanntlich sehr mächtig werden, sobald die Herrscher sich von ihnen gesundheitlich abhängig fühlen.
    »Der Leibarzt eines Mächtigen betreut nicht nur dessen innere Organe, er hat vor allem auch dessen Ohr.«
    Das galt für Kaiser und Könige und gilt für Präsidenten, Minister und den Rest der Politiker ebenso.

Die frühesten gerichtsmedizinischen Gutachten
    Im Februar 1289 untersuchten zwei Ärzte über Auftrag der Behörde die Leiche des in der Kirche der heiligen Katharina von Saracocia niedergeschlagenen Jacob Rustighelli. In ihrem Bericht stand unter anderem:
    »In primis, in pectore: septem vulnera mortallia. Item, in medietate frontis: duo vulnera mortallia. Item, in maxilla dextra: unum vulnus non mortalle.«
    Zunächst, in der Brust: sieben tödliche Wunden. Ferner in der Stirnmitte: zwei tödliche Wunden. Weiters im rechten Oberkiefer: eine nicht tödliche Wunde.
    Das ist schon ein ganz ordentliches Gutachten, wobei die Wunden des Opfers nach Zahl und Lokalisation angegeben und vor allem deren Tödlichkeit oder Nichttödlichkeit bestimmt wurde.

    Berühmt ist ein Gutachten aus Bologna von 1302. Im Auftrag des Richters Jacobus wurde die Leiche eines gewissen Azzolino auf Spuren eines Giftmordes untersucht. Doktor Bartholomeus de Varignana und vier Magister der Medizin und Chirurgie stellten bei der Leichenöffnung »gestocktes Blut in verschiedenen Gefäßen der Leberregion« fest und schlossen daraus auf eine »tödliche mechanische Behinderung der Lebensfunktionen«. Ein von außen eingebrachtes Gift war nach ihrer Ansicht nicht für den raschen Eintritt der schwärzlichen Verfärbung der Leiche verantwortlich. Hier wurde also eine gerichtsmedizinische Obduktion durchgeführt. Die Befunde und ihre Interpretation sind aus heutiger Sicht völlig unbrauchbar, jedoch für die damalige Zeit war es der Beginn einer grundsätzlich neuen Untersuchungsmethode. Die Sektion wurde in der Folge für die Gerichtsmedizin zum wichtigsten Teil der Wahrheitsfindung.
    Damit gab es drei Sparten der Medizin, in denen Leichenöffnungen durchgeführt wurden: die normale Anatomie zur Erfassung des Aufbaues des Körpers und seiner Organe, die pathologische Anatomie zur Entdeckung und Klassifizierung der Krankheiten und schließlich die Gerichtsmedizin.
    Zwischen Pathologie und Gerichtsmedizin bestand seit Anbeginn Konkurrenz und kollegialer Brotneid um materielle sowie wissenschaftliche Erfolge. Vor allem die Pathologen drängten die Gerichtsmediziner an die Wand, besonders krass war dies im 19. Jahrhundert in Wien. Der damalige Oberpathologe Carl Rokitansky ließ wohl die Gerichtsmediziner Vorlesungen halten, die Leichenöffnungen der gerichtlich zu untersuchenden Todesfälle gab er jedoch nicht aus der Hand, denn es ging um eine jährliche »Remuneration von 600 Gulden«, wie er in seiner Selbstbiografie offen eingestand. Das wirtschaftliche Denken war schon immer bei manchen Medizinern überproportional ausgeprägt.

Nichts ist interessanter als ein
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