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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Autoren: Hans Bankl
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Aber das war noch lange kein Beweis, dass die Leiche im Keller tatsächlich Cora Crippen war. Schließlich wurde ein etwa 15 mal 20 Zentimeter großes Hautstück gefunden, das am Rand einige Schamhaare aufwies und daneben eine Narbe. Die Ermittlungen ergaben schließlich, dass Cora sich vor Jahren einer Unterleibsoperation unterzogen hatte. Aufwendige mikroskopische Untersuchungen zeigten an dem Hautstück die besonderen feingeweblichen Charakteristika der vorderen Bauchwand. Gleichzeitig war es gelungen, in den Leichenteilen das pflanzliche Gift Hyoscin nachzuweisen.
    Scotland Yard hatte in der Zwischenzeit einen Steckbrief mit der genauen Personenbeschreibung von Dr. Crippen und Ethel Le Neve herausgegeben. Dieses Fahndungsblatt wurde unter anderem an sämtliche auslaufende Schiffe verteilt, so auch an den Passagierdampfer »Montrose«. Dort waren die Passagiere John Philo Robinson und dessen Sohn John bereits aufgefallen, da der »Junge« bei Tisch ausgesprochen weibliche Manieren zeigte und das Benehmen der Robinsons eher einem Liebespaar entsprach. Diesen Verdacht teilte der Kapitän den Behörden mittels eines Funkspruches mit. Es war das erste Mal, dass die drahtlose Nachrichtenübermittlung zu kriminalistischen Zwecken eingesetzt wurde. Crippen und seine Freundin wurden verhaftet. Beim folgenden Strafprozess konnte vor allem Bernard Spilsbury seine Untersuchungen zur Identifizierung derart fundiert darstellen, dass die Beratung der Geschworenen nur 27 Minuten dauerte. Crippen wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet, Ethel Le Neve von der Anklage der Mittäterschaft freigesprochen.
    Dieser Prozess bedeutete eine Wende in der Bewertung gerichtsmedizinischer Untersuchungen, denen, dank Bernard Spilsbury, fortan mehr Vertrauen entgegengebracht wurde.

    Wer war Dr. Bernard Spilsbury?
    Der 1877 geborene Sohn eines Drogisten kam mehr durch Zufall als durch Neigung zum Medizinstudium. Eigentlich hätte er praktischer Arzt werden sollen, doch Pathologie und mikroskopische Untersuchungen faszinierten ihn. Während seine Jahrgangskollegen längst als Ärzte ihr Geld verdienten, arbeitete er in Leichenhallen und Laboratorien, um die Gewebsveränderungen aufzuspüren, die dem freien Auge verborgen blieben. Er wurde ein Forscher mit dem Mikroskop, und das war sein Weg zur Gerichtsmedizin. Über 40 Jahre wirkte er als Sachverständiger, mit immer größer werdender Erfahrung und immer präziserer Klarheit in seinen Gutachten. Als ein Mann von immenser Ausstrahlung und offenbar ohne die geringste Spur von Selbstzweifeln beeinflusste er Geschworene wie Richter gleichermaßen und erlangte nahezu eine Reputation der Unfehlbarkeit. Im Gegensatz zu anderen großen Gerichtspathologen hat er weder publiziert noch gelehrt. Am Ende seines Lebens verfiel er angesichts seiner schwindenden Kräfte in Depressionen und beging Selbstmord. Im Alter von 70 Jahren zog sich Sir Bernard Spilsbury 1947 eine Plastiktüte über den Kopf und erstickte darunter.
    Der Beginn der Ereignisse spielte 1882 im kleinen nordostungarischen Dorf Tisza-Eszlàr, am Ufer der Theiß. Die Bewohner waren überwiegend Christen und daneben aus dem Osten zugewanderte Juden. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich zum seit jeher bestehenden, religiös begründeten Antisemitismus auch eine wirtschaftlich bedingte Judenfeindlichkeit den Zuwanderern gegenüber entwickelt. Durch die Pogrome im nahen Russland erlangte diese noch Auftrieb, da die Zahl der jüdischen Flüchtlinge zunahm.
    Am Samstag, dem 1. April 1882, schickte eine Bäuerin ihr 14-jähriges,
christliches Dienstmädchen Esther Solymosi zum Kaufmann, um Farbe für den Osterputz zu holen. Der Weg führte sowohl am Flussufer als auch an der Synagoge vorbei, wo an jenem Vormittag der Sabbat-Gottesdienst stattfand. Das Mädchen wurde auf dem langen Hin- und Rückweg mehrfach gesehen, sie kehrte jedoch nicht nach Hause zurück. Die Mutter erstattete Abgängigkeitsanzeige, der jüdische Tempeldiener Joseph Scharf versuchte sie zu trösten, und das machte ihn schon verdächtig. Erste Gerüchte kamen auf und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer: Die Juden, so hieß es, benötigten Christenblut zu gottesdienstlichen Zwecken und töteten Christenkinder, um mit deren Blut den Teig des ungesäuerten Osterbrotes zu bereiten. Dass dies im krassen Widerspruch zu den strengen jüdischen Speisegesetzen steht, wonach der Genuss von Blut strikt verboten ist, störte die Christen bei ihren Anschuldigungen überhaupt
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