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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Autoren: Hans Bankl
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es häufig Alkoholiker aufweisen - bot. Ein weiteres, ebenso großes Gewebestück erwies sich als Hodengewebe. An einem schmalen, sehr stark behaarten Hautstück wurde der Nabel, die Achselbehaarung und eine Blinddarmnarbe festgestellt. Aus der Distanz »Nabel bis Achselhöhle« konnte unter der Annahme, es handle sich um einen jungen Menschen, in allergröbster Weise die Körpergröße geschätzt werden.
    Diese Entdeckungen hätten nicht weitergeführt, wenn nicht zur selben Zeit in Wien eine Mutter auf der Suche nach ihrem
vermissten Sohn die Polizei verständigt hätte. Sie schilderte ihren Sohn als sehr groß, mit starker Körperbehaarung und einer Blinddarmnarbe, und gab an, er sei Alkoholiker. Die Gerichtsmediziner konnten aus den Leichenteilen Blut gewinnen, und es wurden die Blutgruppenmerkmale ermittelt. Verglichen mit denen der Mutter, stimmten sie in sieben Merkmalen überein, woraus allerdings nur geschlossen werden konnte, dass die Frau die Mutter sein mochte. Alle diese Feststellungen reichten nicht aus, um eine Identität zu ermitteln, sie gaben aber doch Hinweise.
    Eine weitere Unterstützung lieferte die Angabe der Frau, dass ihr Sohn in engem Kontakt mit einem Mann namens Ernst Dostal stand. Als Letzterer drei Tage später zwecks Einvernahme zur Gendarmerie bestellt wurde, entzog er sich dieser Befragung durch Flucht, nachdem er vier Gendarmeriebeamte angeschossen und schwer verletzt hatte. In der Folge tötete er auf seiner Flucht ein Ehepaar und wurde schließlich, als er 13 Tage nach dem Fund der Leichenteile nach einer beispiellosen Großfahndung von der Gendarmerie eingekreist wurde, nach einem Feuergefecht erschossen. Hinweise auf den rätselhaften Mord an seinem Freund, der in der Zwischenzeit eindeutig als Richard Dvorak identifiziert worden war, auf das Motiv zur Sprengung der Leiche und auf den Verbleib des Schädels blieben jedoch aus.

Spektakuläre Identifizierungen
    Aufsehen erregende Identifizierungen an Leichenteilen betreffen zumeist entweder Personen, die allgemein bekannt waren und daher öffentliches Interesse auch in den Medien erzeugen, oder Opfer von Kapitalverbrechen, die in die Geschichte eingingen. Natürlich wird die Aufmerksamkeit wach, wenn ein Arzt versucht, seine ermordete Frau unidentifizierbar verschwinden zu lassen, aber dennoch überführt wird. Der klassische Fall des Dr.
Hawley Harvey Crippen (1862-1910) wurde sogar mehrmals verfilmt.
    Am 30. Juni 1910 wurde in London von Bekannten das spurlose Verschwinden der 35-jährigen Cora Crippen bei Scotland Yard angezeigt. Sie war die Gattin des amerikanischen Zahnarztes Dr. H. H. Crippen, der zunächst erklärte, seine Frau sei anlässlich einer Reise nach Kalifornien dort an einer Lungenentzündung gestorben, später allerdings einräumte, sie sei noch am Leben, habe ihn jedoch wegen eines wohlhabenden Mannes verlassen. Das war irgendwie plausibel, denn Cora, die tatsächlich Kunigunde Mackamotzki hieß, fühlte sich zur Sängerin und Schauspielerin berufen, blieb aber erfolglos und tröstete sich mit einer Reihe von Liebhabern. Seit 1. Februar 1910 hatte man sie nicht mehr gesehen. Nach einer kurzen Einvernahme durch die Polizei ergab sich keinerlei Verdacht für ein Verbrechen und die Sache schien erledigt. Dem Chefinspektor Walter Dew fehlten jedoch noch einige Daten für das Protokoll, sodass er nochmals das Haus von Dr. Crippen aufsuchte. Als er am 11. Juli vorsprechen wollte, erfuhr er, dass Crippen zwei Tage vorher in großer Eile London mit unbekanntem Ziel verlassen hatte. Mit ihm war seine Ordinationshilfe Ethel Le Neve ebenfalls abgereist. Jetzt erst erwachte Dews Argwohn, und er ließ das Haus untersuchen. Im Keller, unter dem lockeren Ziegelsteinboden, fand man Teile eines menschlichen Rumpfes, weder Kopf noch Gliedmaßen, jedoch Reste von Damenkleidern. Die Stunde der Gerichtsmedizin war gekommen. Senior-Pathologist Dr. Augustus Joseph Pepper und sein Schüler Dr. Bernard Spilsbury übernahmen die Untersuchungen. Sehr schnell wurde erkannt, dass hier ein Täter am Werk gewesen war, der über gute anatomische Kenntnisse verfügte. Es waren nicht nur Kopf und Extremitäten abgetrennt, sondern auch sämtliche Knochen herausgelöst, um eine Identifizierung anhand des Skeletts zu verhindern. Auch waren alle Körperteile, die auf das Geschlecht des Opfers hinweisen könnten,
verschwunden. Aus der Länge der vorgefundenen Haare und den Kleidungsstücken konnte man schließen, dass es sich um eine Frau handelte.
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