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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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    Das Loch im Lärm
    Das Erste, was du herausfindest, wenn dein Hund sprechen lernt, ist, dass Hunde nicht viel zu sagen haben. Und das in jeder Beziehung.
    »Muss kacken, Todd.«
    »Halt die Schnauze, Manchee.«
    »Kacken. Kacken, Todd.«
    »Ich hab gesagt, du sollst die Schnauze halten.«
    Wir gehen über die verwilderten Felder im Südwesten der Stadt, die sanft zum Fluss abfallen und sich bis zum Sumpfland hinziehen. Ben hat mich hergeschickt, damit ich ihm ein paar Sumpfäpfel hole, er hat gesagt, ich solle Manchee mitnehmen, obwohl jeder weiß, dass Cillian ihn nur gekauft hat, um sich gut mit Bürgermeister Prentiss zu stellen, und plötzlich ist er da, dieser neue Hund, ein Geschenk zu meinem Geburtstag im letzten Jahr, obwohl ich mir niemals einen Hund gewünscht habe. Was ich mir dagegen wirklich gewünscht habe, war, dass Cillian endlich das Atomkraftrad repariert, damit ich nicht mehr zu jedem gottverlassenen Platz in dieser blöden Stadt zu Fuß gehen muss, aber nein, alles Gute zum Geburtstag, Todd, hier hast du ein niedliches Hundebaby, und obwohl du es gar nicht haben wolltest, rate mal, wer es jetzt füttern und erziehen und waschen muss und wer mit ihm Gassi geht und wersich sein Geplapper anhört, jetzt da es in das Alter kommt, in dem der Redebazillus seine Schnauze nicht mehr stillstehen lässt? Dreimal darfst du raten.
    »Kacken«, bellt Manchee leise vor sich hin. »Kacken, kacken, kacken.«
    »Dann kack doch, und hör endlich auf, davon zu kläffen.«
    Ich reiße ein Büschel Gras neben dem Weg aus und schlage damit nach ihm. Ich treffe ihn nicht, ich will ihn gar nicht treffen, aber er bellt sein kurzes Lachen und rennt weiter den Weg entlang. Ich laufe hinter ihm her, schlage mit dem Büschel rechts und links ins Gras, blinzle, weil mir die Sonne in die Augen sticht, und versuche an rein gar nichts zu denken.
    Die Wahrheit ist: Wir brauchen gar keine Äpfel aus dem Sumpfland. Wenn Ben wirklich welche brauchte, könnte er sie auch im Laden von Mr Phelps kaufen. Ebenso wahr ist: In den Sumpf zu gehen, um ein paar Äpfel zu klauben, ist keine Arbeit für einen Mann, denn Männer dürfen nicht faulenzen. Na gut, offiziell bin ich erst in dreißig Tagen ein Mann. Ich bin zwölf Jahre alt, zwölf Jahre mit je dreizehn langen Monaten und zwölf Monate dazu, und das bedeutet, dass es noch einen vollen Monat hin ist bis zu dem einen, dem wichtigen Geburtstag. Die Pläne dafür sind schon geschmiedet, die Vorbereitungen getroffen, es wird wohl eine Party geben, obwohl mich bei dem Gedanken daran merkwürdige Vorstellungen beschleichen, Bilder, die ganz düster und ganz strahlend zugleich sind, aber egal, ich werde bald ein Mann sein, und Äpfel im Sumpfland zu klauben ist keine Arbeit für einen Mann oder für einen, der schon beinahe ein Mann ist.
    Aber Ben weiß, dass er mich darum bitten kann und dass ich dann Ja sage, denn der Sumpf ist der einzige Flecken in derNähe von Prentisstown, an dem man sich halbwegs erholen kann von dem Lärm, der aus den Männern hervorsprudelt, von ihrem Schnattern und Plappern, das nicht einmal aufhört, wenn sie schlafen. Männer und ihre Gedanken. Gedanken, von denen sie nicht einmal wissen, dass sie sie denken, selbst wenn jedermann sie hört. Männer und ihr Lärm. Ich weiß nicht, wie sie das anstellen, wie sie es miteinander aushalten.
    Männer sind lärmende Wesen.
    »Eichhörnchen!«, ruft Manchee, und schon ist er auf und davon, rennt querfeldein, egal, wie laut ich hinter ihm herrufe. Also laufe auch ich querfeldein, über die (ich schaue mich um, ob auch wirklich niemand in der Nähe ist) gottverdammten Felder, denn Cillian wird sicher der Schlag treffen, wenn Manchee in ein gottverdammtes Schlangenloch fällt, und natürlich ist es dann meine gottverdammte Schuld, obwohl ich mir diesen gottverdammten Hund eigentlich verdammt noch mal gar nicht gewünscht habe.
    »Manchee! Komm zurück!«
    »Eichhörnchen!«
    Ich muss mich durch das Gras kämpfen, kleine Raupen bleiben an meinen Schuhen hängen. Ich will eine davon abschütteln und zerquetsche sie dabei, sie hinterlässt eine grüne Schleimspur auf meiner Trainingshose, die sich erfahrungsgemäß nicht mehr auswaschen lässt.
    »Manchee!«, schreie ich wutschnaubend.
    »Eichhörnchen! Eichhörnchen! Eichhörnchen!«
    Er rennt bellend um den Baum herum, und das Eichhörnchen saust über den Baumstamm, macht sich lustig über ihn. Komm schon, Zappler , sagt sein Lärm. Komm schon, fang mich, komm schon,
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