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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Es ist herrlich, einmal im Jahr, über vier Wochen hinweg, nichts zu tun. Im Sand zu liegen, eingewickelt in die Wärme der Sonne, das Meer rauschen zu hören, den Wind wie ein zärtliches Streicheln auf der Haut zu spüren, sich hinzugeben dem beglückenden Gefühl, dem Alltag entronnen zu sein und sich ganz auf sich selbst besinnen zu können.
    Nachts glitt der Strahlfinger des Leuchtturms von Capo San Marco über das meist nur schwach gekräuselte Meer, weit draußen glitzerten die Lichter der Schiffe, und gegen Morgen tuckerten die Fischer von San Giovanni di Sims vorbei, auf der Heimkehr vom nächtlichen Fang.
    Vom ›Aktivurlaub‹, der in unseren Tagen so eindringlich empfohlen wird, hielt Dr. Heinz Volkmar nicht viel, obwohl sich Großstadtmenschen auf diese Art sicher am besten erholen können. Er suchte sich lieber einsame Küsten aus, baute sein großes Hauszelt auf, azurblau mit leuchtendgelbem Vordach und einer Veranda mit Kunststoffscheiben, und dort verlebte er dann glückliche Wochen in dem Bewußtsein, sich dieses absolute Faulenzen ehrlich verdient zu haben.
    Seine große Ferienliebe galt Sardinien. Und wer einmal in einer der zahllosen Buchten ein Stück dieser grandiosen Natur geworden ist, dem wächst die Sehnsucht ins Herz fest, zurückzukommen auf diese Insel, auf der es anscheinend nur glückliche Menschen gibt.
    Natürlich ist das eine Täuschung. Aber Dr. Volkmar ließ sich gerne täuschen – nicht anders als alle Touristen, die nur Palmen und Meer, Tavernen und weißgekalkte Häuser sehen und nicht die Not, die sich hinter diesen in der Sonne blendenden Mauern eingenistet hat. Man muß das verstehen. Sein Arbeitstag betrug selten weniger als zehn Stunden, er war schon sehr zufrieden, wenn es nur zwölf Stunden waren. Die morgendliche Konferenz mit dem Chef und allen anderen Klinikärzten, die Durchsprache der neu eingelieferten Patienten, der Operationsplan, die Morgenvisite, sofern nicht schon die Arbeit im OP begann, die langen Stunden am OP-Tisch, über die aufgeschnittenen Leiber gebeugt, auf dem Kopf und im Nacken die Hitze der riesigen Operationsscheinwerfer, der Blutdunst, der keine Sekunde unterbrochene Kampf gegen Komplikationen, oft genug um Leben und Tod gegen die Uhr, dann drei Tassen starker Kaffee im Ärztekasino, ein paar Bissen hinuntergewürgt, Kontrolle der Wachstation, und später – wenn in der Klinik nichts Dramatisches mehr zu erwarten war, die Fahrt zum Institut für Transplantationsforschung, wo Hunde, Affen, Schafe und drei Schweine eingesperrt waren, um eines baldigen Tages für den Fortschritt der Menschheit zu sterben. Endlich die späten Abende: Eintragungen in das private Forschungstagebuch, Zeitungslektüre, Studium einiger medizinischer Schriften, ab und zu auch ein Telefonanruf: »Wollen wir heute ausgehen? Ja, es ist schon spät. Ich weiß. Aber wir könnten bei Yan Yüng essen …« Dann aß man chinesisch mit Dr. Angela Blüthgen, Assistentin der Inneren Abteilung, 1. Medizinische Klinik, hellblond, lange, leicht gewellte Haare bis auf die Schultern, und manchmal fielen sie ihr über die schönen Brüste, die niemand übersehen konnte. Dreißig Jahre alt, bereits geschieden, war eine dumme Studentenehe damals, hervorgegangen aus einer Trotzaktion gegen die Eltern, die kein Verständnis dafür hatten, daß ein junges Mädchen mit Abitur und ein junger Mann, stud. jur. unbedingt in einem Zimmer und in einem Bett zusammen leben wollten. Aber schon nach wenigen Jahren nahm sich alles anders aus, und keinem gelang es mehr, die Fehler des anderen zu übersehen. Flucht in die Freiheit also, bald darauf die erste Begegnung mit Dr. Heinz Volkmar, auf einem Medizinerkongreß in Bad Reichenhall. Man fand einander sympathisch, aber Liebe im romantischen Sinne war es nicht; ab und zu schlief man zusammen, weil es Spaß machte und eine gewisse Ordnung darin lag, nur mit einem Partner ins Bett zu gehen und nicht mehr auf der Suche sein zu müssen. Doch nie fiel ein Wort wie: »Wollen wir zusammenbleiben?« oder: »Heinz, ich liebe dich!« Es genügten die Anrufe: »Gehen wir heute abend aus?«, es genügte das Ritual des Essens, ein guter Wein, ein wenig Fröhlichkeit und Sehnsucht im Herzen und in den Lenden, die paar Stunden der Vereinigung und die fast nüchterne Feststellung: »Es war schön mit dir …« Und dann der neue Tag, Klinik, Chefbesprechung, Operationen …
    Einmal im Jahr, vier Wochen lang, fiel das alles ab. Da stopfte man sein Auto voll mit
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