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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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Rückenfell und gespitzten Ohren.
    Ich richte mich auf. »Was ist los, alter Junge?«
    Er knurrt jetzt, fletscht die Zähne. Mein Blut rauscht. »Ist dort ein Krokodil?«, frage ich.
    »Ruhig, Todd«, knurrt Manchee.
    »Was ist da?«
    »Ist ganz ruhig, Todd«, knurrt er. Er bellt kurz, und es ist ein richtiges Hundebellen, das nichts anderes bedeuten soll als »Wuff!«, und ich stehe noch ein bisschen mehr unter Strom, meine Haut fängt schon zu knistern an. »Horch«, knurrt er.
    Also horche ich.
    Und horche.
    Ich drehe den Kopf ein wenig und horche weiter.
    Da ist ein Loch im Lärm.
    Was unmöglich sein kann.
    Es ist seltsam, wirklich seltsam, und es ist irgendwo hier versteckt. Verdeckt von den Bäumen oder von sonst was, ist da ein Fleck, von dem die Ohren und der Verstand sagen, dass er keinen Lärm aussendet. Es ist wie eine unsichtbare Hülle, man sieht nur, wie alles von außen an ihr abprallt. Wie Wasser in einer Tasse, nur, dass da gar keine Tasse ist. Es ist ein Loch, und alles, was hineinfällt, hört auf, Lärm zu sein, hört überhaupt auf zu sein, ist einfach verschwunden. Das ist etwas anderes als die Stille, die im Sumpf herrscht, die ja niemals wirklich still ist, sondern nur weniger lärmend. Aber das hier ist ein Gebilde aus Nichts, ein Loch, in dem der ganze Lärm aufhört.
    Was schlichtweg unmöglich ist.
    Diese ganze Welt ist voller Lärm, erfüllt vom Gedankenfluss der Männer und dem anderer Kreaturen, die Gedanken strömen auf mich ein und strömen und strömen, seit damals, als die Spackle im Krieg diesen Lärmbazillus in die Welt gesetzt haben, diesen Bazillus, der die Hälfte der Männer und jede einzelne Frau getötet hat, meine Mutter eingeschlossen, diesen Bazillus, der die restlichen Männer zum Wahnsinn getrieben hat, diesen Bazillus, der den Untergang der Spackle besiegelte, kaum dass die Menschen in ihrem Wahn zum ersten Mal die Waffen erhoben hatten.
    »Todd?« Manchee ist verängstigt, das höre ich deutlich. »Was, Todd? Was ist das, Todd?«
    »Riechst du irgendetwas?«
    »Riecht ruhig, Todd«, bellt er und dann lauter: »Ruhig! Ruhig!«
    Da. In der Nähe der Spackle-Hütten bewegt sich die Stille. Das Blut in meinen Adern pocht so stark, dass es mich beinaheumwirft. Manchee rennt kläffend um mich herum, bellt und bellt und jagt mir damit nur noch mehr Angst ein, deshalb gebe ich ihm wieder einen Klaps aufs Hinterteil (»Aua, Todd?«), um mich selbst zu beruhigen.
    »Es gibt keine Löcher«, sage ich. »Kein Nichts. Also muss es etwas sein, oder?«
    »Etwas, Todd«, bellt Manchee.
    »Hörst du, wohin es gegangen ist?«
    »Ist ruhig, Todd.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Manchee nimmt Witterung auf, tapst vorsichtig ein, zwei Schritte auf die Hütten zu und läuft dann in diese Richtung weiter. Also sollten wir wohl besser mal dort nachsehen. Langsam gehe ich auf die größte der geschmolzenen Eiskugeln zu. Ich habe keine Lust, in die Nähe dessen zu kommen, was aus der kleinen, krummen, dreieckigen Tür herausschauen könnte. Manchee schnüffelt am Türrahmen, aber er knurrt nicht, also hole ich tief Luft und schaue hinein.
    Drinnen ist alles ausgestorben. Der Raum ist fast doppelt so hoch wie ich. Auf dem Boden liegt Dreck, Sumpfpflanzen haben sich dort ausgebreitet, Kletterpflanzen und solches Zeug, aber sonst gar nichts. Will heißen: kein wirkliches Nichts, kein Loch, keine Spur davon. Nichts deutet auf das hin, was vielleicht vorher hier gewesen ist.
    Es mag albern sein, aber ich muss das jetzt sagen.
    Ich frage mich, ob die Spackle zurückgekommen sind. Aber das ist unmöglich.
    Ein Loch im Lärm ist allerdings auch unmöglich.
    Also muss es etwas, was eigentlich unmöglich ist, dennoch geben.
    Ich höre, wie Manchee draußen herumschnüffelt, deshalb gehe ich langsam nach draußen und wende mich der zweiten Kugel zu. Auf deren Außenwand steht etwas geschrieben, es sind die einzigen Wörter, die jemals in der Sprache der Spackle aufgeschrieben wurden, soweit man weiß. Wahrscheinlich waren es die einzigen Wörter, die sie für wert hielten aufzuschreiben. Es ist die Schrift der Spackle, und Ben sagt, die Wörter klängen wie »es’ Paqili« oder so ähnlich, das heißt »Spackle« oder, wenn man den Namen mehr ausspuckt, als dass man ihn spricht: »Spaeks«. Und so sprechen ihn alle aus seit dem Unglück. Der Name bedeutet »Menschen«.
    Die zweite Hütte ist ebenfalls leer. Ich gehe wieder nach draußen in den Sumpf und lausche mit gesenktem Kopf, ich strenge all
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