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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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man mit einem Messer und einem Gewehr umgeht, was gegen Schlangenbisse hilft und wie man seinen Lärm so gut wie möglich kontrolliert.
    Er hat auch versucht, mir Lesen und Schreiben beizubringen, aber Bürgermeister Prentiss hat eines Morgens durch meinen Lärm davon Wind bekommen und Ben für eine Woche eingebuchtet, und das war’s dann mit meiner Schulgelehrsamkeit. Und weil ich auch noch die vielen anderen Dinge lernen und auf der Farm arbeiten musste, was ich noch immer tagein, tagaus tue, weil man einfach überleben muss, deshalb habe ich nie richtig lesen gelernt. Aber das macht nichts. Kein Mensch in Prentisstown wird jemals ein Buch schreiben.
    Manchee und ich gehen am Schulhaus vorbei und den kleinen Hügel hinauf und schauen nach Norden. Vor uns liegt sie, die besagte Stadt. Nicht dass von ihr noch allzu viel übrig geblieben wäre. Ein Geschäft, früher waren es mal zwei. Eine Kneipe, früher waren es mal zwei. Ein Krankenhaus, ein Gefängnis, eine Tankstelle, die außer Betrieb ist, ein großes Haus für den Bürgermeister, eine Polizeiwache. Dann die Kirche. Ein kleines Stück Straße, das durch die Ortsmitte verläuft, sie ist vor vielen Jahren gepflastert und seither niemals repariert worden, sie verfällt jetzt schnell zu Sand und Kies. All die Häuser und dergleichen liegen weitverstreut, Farmen, die nur so aussehen, als wären sie Farmen, einige sind es tatsächlich noch, andere sind verlassen, wieder andere sind nicht nur verlassen, sondern auch verfallen.
    Mehr gibt es nicht in Prentisstown. Einwohnerzahl: 147, und die sinkt und sinkt und sinkt. 146 Männer und ein Beinahe-Mann.
    Ben sagt, es habe noch andere Siedlungen gegeben, die über ganz New World verstreut lägen, und dass alle Raumschiffe ungefähr zur selben Zeit gelandet seien, ungefähr zehn Jahre, bevor ich auf die Welt gekommen sei, aber dann habe der Krieg gegen die Spackle angefangen, und die Spackle hätten die Krankheitserreger freigesetzt, und alle anderen Siedlungen seien ausgelöscht worden. Auch Prentisstown wäre beinahe ausgelöscht worden, es hat nur dank des militärischen Geschicks von Bürgermeister Prentiss überlebt, und obwohl Bürgermeister Prentiss wie ein immer wiederkehrender Albtraum ist, verdanken wir letztlich ihm, dass wir als Einzige in der großen, frauenlosen Welt überlebt haben, in einer Welt, die nichts Gutes zu bieten hat, in einer Stadt mit 146 Männern, die mit jedem Tag, der ins Land geht, ein kleines bisschen mehr stirbt.
    Denn manche Männer halten es einfach nicht aus und man kann’s ihnen nicht mal verübeln. Sie hauen ab wie Mr Royal, manche von ihnen verschwinden einfach wie Mr Gault, unser alter Nachbar, der die zweite Schaffarm im Ort besaß, oder wie Mr Michael, unser zweitbester Zimmermann, oder wie Mr Van Wijk, der an demselben Tag abtauchte, an dem sein Sohn zum Mann wurde. Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Wenn die ganze Welt nur aus einer einzigen lärmenden Stadt besteht, die keine Zukunft hat, dann muss man manchmal einfach gehen, selbst wenn es gar keinen Ort mehr gibt, an den man gehen könnte.
    Während ich, der Beinahe-Mann, auf die Stadt schaue, höreich die 146 Männer, die noch da sind. Ich höre sogar den Allerletzten, Lausigsten von ihnen. Ihr Lärm überspült den Hang wie eine Flutwelle, wie ein Feuer, wie ein Ungeheuer, das bis zum Himmel reicht und das dich holt, weil du nirgendwohin fliehen kannst.
    So wie hier ist es immer. So wie hier war jede Minute an jedem Tag meines blöden, beschissenen Lebens in dieser blöden, beschissenen Stadt. Und man braucht gar nicht erst zu versuchen, sich die Ohren zuzuhalten, es hilft rein gar nichts.
     

     

     
     
    Und das sind nur die Worte, die Stimmen, die sprechen und klagen und singen und weinen. Aber da sind auch noch die Bilder. Sie drängen sich in deine Gedanken, egal, wie sehr du dich dagegen sträubst, Bilder von Erinnerungen und Fantasien und Geheimnissen und Plänen und von Lügen, Lügen und nochmals Lügen. Denn man kann in seinem Lärm auch lügen, selbst wenn jedermann weiß, was man denkt, man kann Dinge unter anderen verstecken oder noch viel einfacher, man braucht sich die Gedanken einfach nicht so genau auszumalen, oder man redet sich ein, dass das Gegenteil von dem, was man zu verbergen sucht, wahr ist, und wer ist dann noch in der Lage, in dieser ganzen Flut zu unterscheiden, welcher Gedanke Wasser ist und dich benetzt und welcher nicht.
    Männer lügen und sich selbst belügen sie am
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