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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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ist das Haus des Bürgermeisters das letzte, an dem man vorbeikommt. Aus ihm dringt der seltsamste und lauteste Lärm überhaupt, denn Bürgermeister Prentiss ...
    Nun, Bürgermeister Prentiss ist ein bisschen anders als die anderen.
    Sein Lärm ist schrecklich deutlich, und wenn ich schrecklich sage, dann meine ich schrecklich. Er ist überzeugt, dass man den Lärm ordnen, ihn sogar für sich nutzen kann, wenn man ihn nur irgendwie bändigt. Und wenn man am Haus des Bürgermeisters vorbeiläuft, kann man ihn hören, ihn und seine engsten Vertrauten, seine Stellvertreter und all solche Leute, und immer machen sie diese Gedankenübungen, sie zählen Sachen, stellen sich vollkommene Formen vor, sprechen im Chor diesen Singsang, wie zum Beispiel ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH, was immer das heißen soll. Es ist, als knete sich Bürgermeister Prentiss eine kleine Armee nach seinen Vorstellungen zurecht, als bereite er sich auf irgendetwas vor, als schmiede er eine Lärmwaffe.
    Und das macht irgendwie Angst, es ist, als würde sich die Welt verändern und man selbst bliebe zurück.
    1 2 3 4 4 3 2 1 ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH. 1 2 3 4 4 3 2 1 WENN EINER VON UNS FÄLLT, FALLEN WIR ALLE.
    Bald werde ich ein Mann sein, und Männer rennen nicht ängstlich davon, aber ich gebe Manchee einen Klaps, und wir beide laufen jetzt sogar noch ein klein wenig schneller als zuvor, machen einen möglichst großen Bogen um das Haus des Bürgermeisters, bis wir daran vorbei sind und wieder auf dem Kiesweg, der zu unserem Haus führt.
    Nach einer Weile ist die Stadt hinter uns verschwunden, der Lärm ebbt ein wenig ab (wenngleich er niemals ganz verstummt), und wir beide atmen etwas freier.
    Manchee bellt: »Lärm, Todd.«
    »Und wie«, sage ich.
    »Ruhig im Sumpf, Todd«, sagt Manchee. »Ruhig, ruhig, ruhig.«
    »Ja«, sage ich, dann fällt mir etwas ein und ich laufe schneller und sage dann: »Halt die Schnauze, Manchee«, und ich schlage ihn einmal auf den Rücken, und er sagt: »Aua, Todd?« Ich schaue mich um, zur Stadt zurück, aber wenn Lärm erst einmal in der Welt ist, gibt es kein Zurück, oder? Wenn man den Lärm sehen könnte, wie er sich durch die Luft bewegt, dann könnte man auch das Loch im Lärm sehen, wie es aus mir herausfliegt, wie es aus meinen Gedanken herausfliegt, obwohl ich es doch beschützen wollte. Es ist so ein armes, kleines bisschen Lärm, und man könnte es in dem allgemeinen Getöse so leicht überhören, aber nun geht es dahin, dahin, dahin – zurück in die Welt der Männer.

3
    Ben und Cillian
    »Wo habt ihr so lange gesteckt?«, fragt Cillian, als Manchee und ich über den Kiesweg trotten. Er liegt auf dem Boden, steckt halb im Atomgenerator drin, der draußen vor dem Haus steht, und repariert, was in diesem Monat daran kaputtgegangen ist. Seine Arme sind voller Schmiere, seine Miene ist finster und sein Lärm summt wie ein Schwarm wild gewordener Bienen.
    Ich spüre, wie Wut in mir aufsteigt, dabei bin ich noch nicht einmal richtig zu Hause.
    »Ich war im Sumpf und habe Äpfel für Ben geholt«, antworte ich.
    »Hier ist jede Menge Arbeit zu tun und der Junge geht weg zum Spielen.« Er schaut wieder in den Generator. Irgendetwas kracht und er flucht: »Verdammt!«
    »Ich war nicht weg zum Spielen, aber natürlich hörst du mir wieder mal nicht zu!«, antworte ich, eigentlich schreie ich es mehr. »Ben wollte Äpfel, also habe ich ihm ein paar von den verdammten Äpfeln geholt!«
    »Aha«, sagt Cillian und schaut mich an. »Und wo sind sie dann, diese Äpfel?«
    Und natürlich habe ich keine Äpfel dabei, ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, wo ich die Tüte mit den eingesammeltenÄpfeln fallen gelassen habe, bestimmt habe ich sie fallen lassen, als ...
    »Als was?«, fragt Cillian.
    »Hör auf, mich zu belauschen«, fauche ich ihn an.
    Cillian seufzt, wie er immer seufzt, und dann geht’s los.
    »Es ist ja nicht so, als müsstest du hier bei uns so viel arbeiten, Todd« – was glatt gelogen ist – »aber wir beide schaffen die Arbeit auf der Farm nicht alleine« – was stimmt – »und selbst wenn du ein einziges Mal alle deine Aufgaben erledigst, was ja nie vorkommt« – noch eine Lüge, sie lassen mich hier wie einen Sklaven schuften – »dann stehen wir trotzdem auf verlorenem Posten.« Und das ist wahr. Die Stadt kann nicht mehr wachsen, sie kann nur noch schrumpfen, und Hilfe ist nicht in Sicht.
    »Hör zu, wenn ich mit dir rede«, sagt
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