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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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nichts fehlt. Heute ist es Mr Fox, der sich darüber beklagt, dass er keine Luft bekommt, was wirklich schlimm wäre, wenn er nicht so viel rauchen würde. Wenn man am Krankenhaus vorbei ist, dann, großer Gott, hört man den Lärm aus der widerlichen Kneipe, sogar zu dieser Tageszeit schwillt er an zu einem einzigen Brüllen an. Denn dort drinnen lassen sie die Musik dröhnen, damit sie allen Lärm erstickt, aber das funktioniert nicht richtig, und so hört man ohrenbetäubende Musik undohrenbetäubenden Lärm und, was noch schlimmer ist, betrunkenen Lärm, der auf einen niedersaust wie ein Holzhammer. Er setzt sich zusammen aus den Rufen, dem Heulen und dem Weinen von Männern, die sonst nie eine Miene verziehen. Es ist, als würden sie vor der Vergangenheit erschaudern und all den Frauen, die es einmal gab. Ja, da ist jede Menge zu hören über die Frauen, die es einmal gab, aber alles ist unverständlich, denn betrunkener Lärm ist wie ein betrunkener Mann: lallend, langweilig und gefährlich.
    Es ist nicht leicht, durch die Mitte der Stadt zu gehen, es ist nicht leicht, sich immer auf den nächsten Schritt zu konzentrieren, denn der Lärm lastet bleischwer auf den Schultern. Ich weiß ehrlich nicht, wie die Männer das aushalten, ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll, wenn ich ein Mann bin, falls sich an meinem Geburtstag nicht etwas Entscheidendes ändert, von dem ich jetzt noch nichts weiß.
    Die Straße steigt an und biegt dann nach rechts ab, vorbei an der Polizeistation und dem Gefängnis, die ein und dasselbe sind und häufiger benutzt werden, als man in einer so kleinen Stadt glauben sollte. Der Polizist ist Mr Prentiss junior. Er ist kaum zwei Jahre älter als ich und war noch gar nicht lange ein Mann, als er Polizist wurde, aber er hat sich rasch in seinem Job hervorgetan, denn in seiner Gefängniszelle landet jeder, an dem Bürgermeister Prentiss ein Exempel statuieren will. Zurzeit ist das Mr Turner, der nicht genug von seinem Getreide »zum Wohle der ganzen Stadt« abgeliefert hat, was einfach heißt, dass er kein Getreide umsonst an Mr Prentiss und seine Leute abgeben wollte.
    Jetzt bist du also durch die Stadt gegangen mit deinem Hund und hast schon diesen ganzen Lärm hinter dir gelassen,den von Mr Phelps und von Mr Hammar und von Dr. Baldwin und von Mr Fox und dann diesen Überlärm aus der Kneipe und den Lärm von Prentiss junior und das Gejammer von Mr Turner, und du bist immer noch nicht fertig mit dem Lärm der Stadt, denn jetzt kommt die Kirche.
    Die Kirche ist natürlich der Hauptgrund, weshalb wir in New World sind, und so gut wie jeden Sonntag kann man Aaron darüber predigen hören, weshalb wir die verdorbene und sündige alte Welt hinter uns gelassen und uns aufgemacht haben, ein neues Leben in Reinheit und Brüderlichkeit in einem zweiten Garten Eden zu beginnen.
    Hat ja auch großartig geklappt, was?
    Die Leute gehen trotzdem in die Kirche, hauptsächlich weil sie müssen, obwohl der Bürgermeister selbst sich kaum jemals die Mühe macht, er überlässt es lieber uns anderen, Aarons Predigten zu hören. Darüber, dass wir hier draußen nur einander haben, wir Männer, und dass wir zu einer verschworenen Gemeinschaft werden müssen.
    Bei der alle fallen, wenn einer fällt.
    Das sagt er oft.
    Manchee und ich laufen so leise wie möglich an der Eingangstür vorbei. Gebetslärm dringt nach draußen, er hat etwas Besonderes, etwas Blutrotes, Krankhaftes, als ob die Männer das Gebet wie Blut ausschwitzen würden, obwohl es immer dieselben Worte sind, aber das dunkelrote Blut rinnt weiter und weiter. Hilf uns, errette uns, vergib uns, errette uns, vergib uns, führe uns von hier weg, bitte, lieber Gott, bitte, Gott, bitte, Gott , obwohl von dem Burschen da oben, soweit ich weiß, noch keiner das geringste Tönchen zur Antwort bekommen hat.
    Aaron ist auch dort drinnen, er ist von seinem Spaziergang zurück und predigt und betet. Ich kann seine Stimme hören, nicht nur seinen Lärm, es geht um Opfer , Wort Gottes , um Segen und Heiligkeit und so weiter. Sein Geplapper ist so fad und sein Lärm wie ein graues Feuer, dass man gar nicht weiß, worauf er hinauswill, aber er muss doch auf etwas hinauswollen. Seine Rede mag ja sogar einen Sinn haben, und ich beginne mich zu fragen, welcher das sein könnte.
    Und dann höre ich Junger Todd? in seinem Lärm und ich sage: Beeil dich, Manchee, und wir hauen so schnell wie möglich ab.
    Wenn man ganz oben auf dem Hügel von Prentisstown steht,
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