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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Autoren: Hans Bankl
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war. Erst viel später lehrte mich die Erfahrung, dass man kaum, nicht einmal, wenn es sich um Jugendliche handelt, »schönen Leichen« begegnet. Ramona war eine Ausnahme, das Gesicht war völlig unversehrt und die kleine Wunde an der Brust kaum sichtbar. Das Projektil hatte das Herz durchschlagen und war dann stecken geblieben. Ich bewahrte das kaum verformte Bleigeschoss auf und trage es seit vielen Jahrzehnten als Talisman mit mir. Ein Aberglaube besagt, dass ein Gegenstand, der schon einmal den Tod gebracht hat, im Weiteren vor demselben schützt. Wenn er niemand anderen dabei schadet oder ärgert, darf ein Pathologe meiner Meinung nach ruhig abergläubisch sein.
    Was das Schießen betrifft, so muss Ramona - deren eigentlichen Namen ich schon längst vergessen habe - eine Könnerin gewesen sein. Sie wusste genau, dass ein Herzschuss die geringste Verunstaltung des Körpers bewirkt, und traf auch vor allem das Herz. Letzteres ist bei Selbstmord keineswegs immer der Fall, denn die Leute schießen meist zu weit links daneben. In Liebesangelegenheiten ist ein Herzschuss jedoch typisch, auch das hat seine mythologischen Gründe.

Das Herz des Königs
    Maria Antonia war die jüngste Tochter der Maria Theresia (1717-1780). Mit 15 Jahren wurde sie 1770 mit dem französischen Thronfolger, dem späteren König Ludwig XVI., verheiratet, ab da hieß sie Marie Antoinette (1755-1793). Die Ehe wurde erst sieben Jahre später vollzogen, nachdem man am König eine Vorhautoperation durchgeführt hatte. Danach gebar Marie Antoinette vier Kinder:
    1. Marie Therese, 1778, seit der Geburt Madame Royale genannt. Nur sie überlebte die Französische Revolution und starb 1851.
    2. Louis Joseph, 1781, der erste Thronfolger, der Dauphin. Er starb bereits 1789.
    3. Louis Charles, 1785, der zweite Thronfolger, wurde 1793 nach der Hinrichtung seiner Eltern von den Royalisten zum ungekrönten Ludwig XVII. ausgerufen. 1795 starb er im Gefängnis an Tuberkulose.
    4. Sophie Beatrice, 1786, sie wurde nur elf Monate alt.
    Der 10-jährige Knabe Ludwig XVII. wurde obduziert, und dabei entnahm man sein Herz. Nach Ende der Revolutionswirren wurde dieses Herz in einem geschliffenen Kristallglasbehälter in der Kathedrale von Saint Denis in Paris aufbewahrt. Da zahlreiche Gerüchte in Umlauf waren, wonach der Junge die Gefangenschaft überlebt habe, bzw. eine Reihe von Betrügern auftraten, von denen jeder behauptete, rechtmäßiger Thronfolger zu sein, blieb bis vor kurzem eine gewisse Unsicherheit bestehen. Dazu kommt, dass die Bourbonen selbst in einen spanischen und einen französischen Zweig gespalten waren und es bis heute Zwistigkeiten der Rangordnung und der Erbfolge gibt. Ende 1999 wurden schließlich Proben aus dem Herzgewebe entnommen, von belgischen und deutschen Gerichtsmedizinern genetisch untersucht und mit der Erbsubstanz von noch lebenden Verwandten verglichen. Bernd Brinkmann in Münster und Jean-Jacques Cassiman in Löwen stellten eine ausreichende Übereinstimmung der Erbmerkmale fest, sodass das Schicksal des Sohnes von Marie Antoinette jetzt eindeutig geklärt ist. Vor allem die Geschichte um den deutschen Uhrmacher Karl Wilhelm Naundorff ist damit endgültig als Schwindel entlarvt. Dieser hatte sich als Ludwig XVII. bezeichnet, war 1833 nach Frankreich gekommen und hatte durch bourbonische Gesichtszüge verblüfft. Allerdings
war er des Französischen nicht mächtig. Dennoch schaffte es seine Lobby, ihn 1845 als »Charles Louis de Bourbon« ins Sterberegister eintragen zu lassen, und seine Nachkommen nennen sich noch heute »de Bourbon«. Dies dürfte ihnen nun allerdings verboten werden.

Wer ist der Tote?
     
     
     
     
    Die Identifikation unbekannter aufgefundener Leichen ist Aufgabe des Gerichtsmediziners. Eine Fülle von Fragestellungen kann sich dabei eröffnen:
    Ist der Tote jener schon lange vermisste XY?
    Gibt es charakteristische Merkmale, die man für eine öffentliche Suche verwenden könnte? Werden nur Knochen aufgefunden, sind es Menschen- oder Tierknochen?
    Wie lange liegen die Knochen schon, Jahre oder Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte?
    Sind es die Knochen eines oder mehrerer Individuen?
    Sind nur Weichteile, z. B. nach einer Zerstückelung, vorhanden, und was kann man daraus schließen?
    In den meisten Fällen sind es äußere Merkmale, wie vorzugsweise das Gesicht oder Dokumente, Kleidung und Schmuckstücke, die eine zweifelsfreie Identifizierung erlauben. Dies ist aus den TV-Kriminalserien bekannt: wenn etwa
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