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Im Namen des Kreuzes

Im Namen des Kreuzes

Titel: Im Namen des Kreuzes
Autoren: Peter Probst
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der Junge versteckten ihre Fahrräder im Gebüsch. Der Junge schaute sich nach allen Seiten um. Der überdachte Steg über die Würm verband den großen Friedhof mit der Kirche St. Meinrad. Hier war um die Mittagszeit kaum jemand unterwegs. Auch der komische Typ, der ihnen vorhin auf dem Parkplatz so hinterhergegafft hatte, war verschwunden.
    Es begann zu regnen.
    »Beeilt euch«, rief der Junge.
    »Und wenn uns doch jemand sieht?«, sagte das jüngere Mädchen.
    »Unter der Brücke doch nicht.«
    »Aber man riecht’s vielleicht.«
    »Glaubst du, dass ’ne Oma, die zum Grab vom Opa geht, weiß, wie Gras riecht? Los, komm!«
    Er zog den Ärmel seines Sweatshirts über die Hand und drückte die Zweige eines Weißdornbusches beiseite. Die Mädchen tasteten sich am Brückenpfeiler vorbei. Der Junge folgte ihnen und ließ die Zweige zurückschnellen. Jetzt sah kein Mensch mehr, dass hier ein Pfad zur Wiese am Fluss hinunterführte.
    Der Regen trommelte auf die Brücke, aber sie standen im Trockenen. Der Junge lehnte sich an einen Pfeiler und zauberte eine Blechdose hervor. Er klebte drei Papierchen zusammen und rollte einen Filter aus Pappe. Die Mädchen sahen ihm beeindruckt zu.
    »Ich habe aber noch nie geraucht«, sagte das jüngere. »Kann ich dann noch nach Hause gehen?«
    »Klar«, sagte der Junge. »Das ist nur Gras, damit geh ich zur Schule, und keine Sau merkt’s.«
    »Echt?«
    Sie hörten Stimmen und hielten den Atem an.
    Zwei alte Frauen näherten sich von der Kirche her. Ihre Schritte versetzten die Bohlen des Stegs in leichte Schwingungen.
    »Wie ein großes Xylophon«, flüsterte das ältere Mädchen.
    Der Junge legte den Finger auf die Lippen. Er wartete, bis die beiden nicht mehr zu hören waren, dann baute er den Joint zu Ende, zündete ihn an und ließ ihn kreisen. »Du hast Glück«, sagte er zur Jüngeren, »das ist endsgutes Zeugs. Aber inhalier besser mal nicht zu tief.«
    Das Mädchen nickte und nahm noch mal einen langen Zug. Sie war ja nicht feige.
    »He, he, ist gut, ist ja gut«, sagte der Junge.
    Der Joint machte noch zweimal die Runde. Dann begann das jüngere Mädchen leise zu stöhnen. »Ich glaube, ich muss kotzen.« Es lief durch den Regen zum Fluss.
    »So ein Baby«, sagte das ältere Mädchen.
    Dann hörten sie das Würgen – und plötzlich einen schrillen Schrei.
    »Was geht denn mit der ab?«, sagte der Junge und rannte los.

6.
     
    Die rechte Schuhspitze hing ins Wasser und wurde von Wellen umspielt, die linke baumelte in der Luft: Das war das Erste, was Anton Schwarz sah. Sein Blick ging langsam nach oben, über die graue Stoffhose, den schmalen schwarzen Gürtel, vorbei an den schlaff herabhängenden mit Sommersprossen übersäten Armen, über ein hellgraues Polo-Shirt, und blieb an einer Schlinge hängen, die sich oberhalb des Kehlkopfs tief in den Hals einschnitt.
    Das Gesicht des Erhängten wirkte leicht aufgedunsen, was nicht unbedingt eine Folge des unnatürlichen Todes sein musste. Die Augen waren halb geschlossen und glänzten feucht, das blonde Haar klebte am Kopf.
    »Wir können ihn jetzt abhängen«, entschied Hauptkommissar Buchrieser, Schwarz’ Stammtischfreund und ehemaliger Kollege.
    »Bist du dir sicher? Habt Ihr wirklich alles fotografiert?«
    »Toni, bitte!«
    »Auch von oben, von der Brücke aus?«
    »Selbstverständlich. Aus jeder Lage.«
    »Zieht ihn aber besser nicht übers Geländer. Dabei könnten Spuren verloren gehen.«
    »Danke für den Tipp. Und wie sollen wir ihn sonst bergen? Soll ich ein Boot anfordern?«
    »Das wäre das Beste.«
    »Toni, du nervst. Die Kollegen stehen seit einer Stunde im Regen. Das ist nicht der erste Pfarrer, der sich umgebracht hat.« Er nickte zwei uniformierten Kollegen zu. »Auf geht’s.«
    Schwarz warf einen letzten Blick auf die Szenerie und versuchte, sie sich einzuprägen. »Dann lasse ich euch jetzt mal in Ruhe.«
    »Genau, bevor du von mir einen Platzverweis bekommst.« Buchrieser grinste.
    Schwarz schlurfte durch hohes Gras zu Frau Sass, die verloren ein Stück abseits stand. Obwohl sie einen Schirm aufgespannt hatte, war sie klitschnass. Der Regen kam wegen der Windböen von der Seite, inzwischen stand die halbe Wiese am Fluss unter Wasser. Die Schaulustigen hatten sich längst zur auf der Böschung gelegenen Teerstraße zurückgezogen. Dort oben parkte auch der Bus des Kriseninterventionsteams, in dem die Kinder, die den Toten gefunden hatten, betreut wurden.
     
    Schwarz war von Frau Sass ausgerechnet in dem
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