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0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat

0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat

Titel: 0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
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Dabei sah es zunächst so aus, als käme ich gar nicht dazu, einen Fuß über die Schwelle dieser Turnhalle zu setzen. Gleich nach Büroschluss war ich nach Hause gefahren, um eigens für diesen Abend den schwarzen Smoking aus dem Kleiderschrank zu holen. Während ich mich vor dem Spiegel im Badezimmer abrackerte, um die Schleife zu binden, wartete mein Freund Phil Decker im Wohnzimmer.
    Um Beschäftigung zu haben, kippte er den letzten Tropfen Scotch aus meiner letzten Whiskyflasche. Und als ich in meinem Festkostüm vor ihm erschien, meckerte er auch noch.
    »Du siehst aus wie ein Playboy«, knurrte er.
    »Der Smoking ist vorgeschrieben. Auf der Einladung. Kann ich was dafür?«
    »Warum gehst du überhaupt hin?«
    Ich verdrehte die Augen.
    »Das habe ich dir schon zweimal erklärt. Aber du hast ja nicht zugehört. Der Chef hat dort zwei- oder dreimal Vorträge gehalten, und aus Dankbarkeit haben sie ihm die Einladung geschickt. Er ist verhindert und bat mich, für ihn hinzugehen.«
    Wenn Phil seinen sturen Tag hat, ist es sinnlos, mit ihm zu argumentieren. Er zeigte missbilligend auf meine Smokingjacke und fragte hämisch:
    »Fühlst du dich eigentlich wohl in so einem Gala-Aufzug? Außerdem sitzt das Jackett schlecht.«
    Ich wusste es selbst. Die ganze Zeit über hatte ich ein seltsam leeres Gefühl in der linken Achselhöhle. Das vertraute Gewicht des Dienstrevolvers fehlte. Meine Anzüge sind dafür gearbeitet. Aber ich konnte doch zu einem Tanzfest keine Kanone mitschleppen.
    Während ich den Trenchcoat anzog, fragte ich ihn:
    »Ich sollte dich irgendwo absetzen. Wo willst du denn heute Abend hin?«
    »Ins Sheridan Square Playhouse.«
    »Was gibt’s denn dort?«
    »Arthur Miller: Ein Bild von der Brücke. Die Besprechungen des Stücks und der Inszenierung waren gut.«
    Ich beschloss, es ihm heimzuzahlen. Nach einem schrillen Pfiff stichelte ich: »Übernimm dich nur nicht. Seit wann interessierst du dich für Literatur? Bisher musste ich dir doch sogar die Witze in den Illustrierten erklären. -Fertig?«
    »Ich bin längst fertig. Du brauchst ja wieder mal eine Ewigkeit, bloß um einen anderen Anzug anzuziehen.«
    Der Sheridan Square mit dem gleichnamigen Theater liegt im Süden von Manhattan, in Greenwich Village, in jenem Stadtbezirk also, der den Touristen als das New Yorker Künstlerviertel angeboten wird. Es mochte gegen sieben Uhr abends sein, als ich mir mühsam den Weg durch das Einbahnstraßengewirr südlich der Zehnten Straße suchte.
    Draußen war es bereits dunkel, aber wann wird es in New York schon mal richtig dunkel? An jedem zweiten Haus flammten Kaskaden von gleißenden Reklamelichtem.
    Wegen des milden Wetters liefen nicht nur die Touristen aus Texas in sommerlicher Kleidung umher. Auf den Gehsteigen gab es ein Gedränge, als stünde der sensationellste Ausverkauf in der Geschichte amerikanischer Warenhäuser bevor. Gesprächsfetzen in einem Dutzend verschiedener Sprachen drangen an unser Ohr.
    Wir hatten die Wagenfenster geöffnet, rauchten und ließen uns in der endlosen Autoschlange dahintreiben, die im Zehn-Meilen-Tempo von Ampel zu Ampel kroch.
    In der Luft hing das Brausen millionenfachen Lebens. Tausende von Klimaanlagen summten in den Häusern. Durch geöffnete Fenster plärrten zwei Dutzend Radio- und ein Dutzend Fernsehprogramme durcheinander. Lachen, Gekicher, Gewisper und Gespräche. Dazu das monotone Summen Hunderter von Automotoren. Die übliche New Yorker Geräuschkulisse. Wir hörten sie kaum.
    Und dann war da jäh der schrille Laut aus der Signalpfeife eines Polizisten. Unwillkürlich reckten wir die Köpfe, laut, dumpf und schwer hallte der Krach von einem Revolverschuß durch die Straße. Eine Frau schrie irgendwo vor uns.
    »Da drüben!« rief Phil.
    Ich drückte den Hupring und riß das Steuer nach rechts. Die Leute auf dem Gehsteig stoben auseinander. Wieder gellte die Pfeife des Polizisten, und gleich darauf krachte es ein zweites Mal.
    Für einen Augenblick sah ich dicht an einer Hausecke zwei dunkle Uniformen der New Yorker Stadtpolizei, dann brauchte ich die Aufmerksamkeit für den Wagen. Wir rumpelten auf den Gehsteig hinauf, ich trat auf die Bremse, und Phil sprang bereits hinaus. Ich lief ihm nach.
    Die schmale Einfahrt lag höchstens zwanzig Schritte vor uns. Sie gähnte wie ein schwarzer Schlund in der Helligkeit der Straßenfront. Jetzt tauchte der gebeugte Rücken eines Polizisten aus der Einfahrt auf. Er ging rückwärts, und er zog einen schweren Körper
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