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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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matter Verzweiflung daliegender Einfamilienhäuser, die alle gleich aussehen und bei deren Anblick man sich wundert, wie jemand abends zurück in sein Eigenheim findet. So gesichtslos sieht hier die Welt gerade aus. Und im selben Augenblick übernehme ich (in Gedanken) das Steuer des Busses, bin der Fahrer mit den Friedhofsaugen, bin es seit Ewigkeiten und weiß, dass ich noch eine Ewigkeit über diesen Mond kurven muss, erinnere mich zugleich, dass ich von Anfang an spürte, dass ich – driver Michael D. / social security number 39 458 485 – ein solches Dasein nicht verkrafte, aber auch keinen Ausweg wusste und deshalb beschlossen habe, Roboter zu werden, eben blind, taub, irgendwie tot. Und deshalb wende ich nicht mehr den Kopf, leiere nur noch blechern und automatisch: »Adult or child?«
    Die Nationalbibliothek ist vorbildlich, ein Lesesaal mit Steckdosen, ein Café, ein Buchladen, an allen Ecken und Enden weht Geist. Mein Tischnachbar heißt Gary – ein Rätsel an Intelligenz, an Vielwissen und Erkenntnishunger – und weiß auf alles, was ich nicht weiß, eine Antwort. Und bringt mich am frühen Abend mit seinem Auto zurück zur civic . Beim Abschied frage ich ihn nach seinen Plänen und Gary beichtet: dass er hier mit seiner Frau auf den Tod der kranken Schwiegereltern wartet. Ist es so weit, kündigen sie die Wohnung und verlassen mit Bleifuß die Stadt.
    Am nächsten Morgen hat das Exil ein Ende, ich darf früher fort als Gary, ein Bus evakuiert mich nach Sydney. Dennoch, auf Canberra hätte ich nicht verzichten wollen. Reisen hat mich noch nie als Veranstaltung interessiert, auf der man »schöne Eindrücke« sammelt. Reisen soll beuteln, verwirren, die Weltwachheit in mir schüren. Eine missratene Reise ist nur jene, nach der ich sonnenbraun und ahnungslos wie vor der Bräune wieder zu Hause ankomme. Außerdem: Hat mich die Hauptstadt nicht beschenkt? Mit der Liebesgeschichte von Percy und Nellie? Mit einem der exquisitesten De-Luxe- WC s im Universum? Mit einem Film, an dessen Ende sich jeder Zweite die feuchten Augen wischte? Mit einem Busfahrer, der einmal Mensch war und nun als Androide unterwegs ist. Ist das nicht auch eine Geschichte, die zum Mitgefühl verleitet? Mit ihm, mit allen wie ihm? Und zur Wachsamkeit uns gegenüber aufruft? Damit wir nicht auf einen ähnlichen Untergang zusteuern.
    Ruhige Fahrt. Das Land und der Himmel leuchten, im Radio kommt die Nachricht, dass ein Greyhound-Fahrer und ein rasend gewordener Passagier – mitten im gestrigen Nachmittagsverkehr – um die Übernahme des Steuerrads kämpften und der Rasende zuletzt überwältigt wurde. Und dass hinterher die Polizei anrückte, um die (angeblich) versteckte Bombe zu finden.
    Wir haben es leichter. Keiner droht, uns in die Luft zu sprengen, Australien ist wieder einmal bildschön und als wir 3½ Stunden später ankommen, weiß ich sofort, dass ich Abbitte leisten muss. Sydney leuchtet auch, der Frühling blüht, die Australierinnen blühen, wo immer ich den Kopf hinwende, oft sieht er etwas, wovon er den Blick nicht lassen will. Das hat sicher (auch) mit der Tatsache zu tun, dass nach einem Aufenthalt in C. alles nur beschwingter, farbenfroher (froh!), sinnlicher werden kann. Zudem nimmt mein vom Stress traktierter Leib dankbar zur Kenntnis, dass er die knapp 25 000 Kilometer ohne größere Beulen und Niederlagen überstanden hat. (Vom kommenden K. o. weiß er noch nichts.)
    Ich deponiere das Gepäck auf meinem Hotelbett und begrüße sechzig Meter weiter Cenel, den Fast-Food-Türken, dem ich an einem regenverseuchten, eiswindigen Tag vor drei Monaten ein Hikmet-Gedicht aufsagte. An jenem Tag, als ich Sydney noch hasste. Cenel leuchtet auch, für die sechs Zeilen über die Brüderlichkeit wird er mir bis zum Lebensende ein Lächeln schenken. Sprache kostet nichts und kann zaubern. Wobei wir noch immer keine Ahnung haben, wie sie das macht.
    Zudem kam Sydney vor Tagen in die Schlagzeilen, weltweit und unter großem Gelächter. John Howard, der baldige Ex-Premierminister, hatte seinen »best buddy« eingeladen, Bush jr., den baldigen Ex-Präsidenten sowie weitere 19 politische Hochwürden und Spesenritter, zum APEC - Forum , der Asia-Pacific Economic Cooperation. Man konnte täglich via Medien mitverfolgen, wie ein Teil der Stadt für schlanke 173 Millionen Dollar zur Festung
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