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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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haben. Das sage ich natürlich nicht, nicht notwendig, denn schon dröhnt herzhaftes Männerlachen durch die Hallen. Ach, die zimperlichen Europäer, denken sie sicher und geleiten mich – drei Mann hoch – zur richtigen Tür. Dahinter liegt das blitzblanke Parlamentarier-Klo. Ein würdiger Ort, in dem ich jetzt allein sein darf. Dicke Mauern, von oben bis unten versiegelt, schalldicht, ja duftend, die ideale Umgebung, um sich ganz seinem very private business hinzugeben. Voller Andacht nehme ich Platz auf einem Möbel, das einst die Satire-Zeitschrift Titanic den einzig legitimen »heiligen Stuhl« nannte. Diese Behauptung kommt einer ewigen Wahrheit verdammt nahe.
    Abends gehe ich ins Kino. Wie immer sind Bruce W. und sein Die hard 0.4 schon da. Auf mehreren Leinwänden. Als wollte er uns daran erinnern, dass die Lüsternheit nach Gewalt nicht nachlässt. Aber, schon wieder ein Pluspunkt für Canberra, hier zeigen sie tatsächlich einen australischen Film, The Home Song Storys . Der Saal ist voll, keiner schnattert in sein Handy, kaum einer hustet, kein Räuspern, voller Ergriffenheit verfolgen wir eine Geschichte, die offenbar alle hier bewegt. Regisseur Tony Ayres erzählt seine eigene Story aus der Perspektive des kleinen Jungen, der er in den 60er Jahren war: Die Familie lebt in Hongkong, die Mutter arbeitet als Nachtclubsängerin, der Vater ist längst verschwunden. Die schöne Rose lernt einen australischen Seemann kennen, die beiden verlieben sich, ziehen nach Melbourne, sein Zuhause, ziehen in einen trostlosen Vorort. Und das trostlose Leben fängt an. Der Seemann ist ein (anständiger) Biedermann, aber sie will Glamour und Leidenschaft, will singen und Erfolg haben. Sie trennen sich. Andere »uncles« – mit dieser Bezeichnung stellt sie ihren beiden Kindern die fremden Männer vor – treten auf. Zuletzt trifft sie einen illegalen (chinesischen) Zuwanderer, einen jungen hübschen Kerl, der seine eigenen Probleme mitbringt. Die Spirale dreht sich – nach unten. Alkohol, Drogen, Spielleidenschaft, das Wissen um die Flüchtigkeit von Schönheit, häusliche Gewalt, die Angst vor den Behörden, der Terror der Armut. »Wie weit musst du reisen, um bei dir anzukommen«?, lautet eine Zeile im Drehbuch. Manche kommen nicht an. Rose nimmt sich das Leben.
    Vielleicht geht der Film deshalb so nah, weil hier keine Mutterheldin vorgeführt wird, sondern eine Frau mit Facetten, auch dunklen. Wie die anderen Akteure der Handlung. Keiner ein geborenes Schwein, keiner ein leuchtendes Beispiel. Eher irgendwo dazwischen, manchmal stark, oft schwach, verführbar, gefangen in Gedanken, die keinen Ausweg zulassen. Sinnigerweise fiel mir während der hundert Minuten ein Schulfreund ein, der als Student nach Queensland ausgewandert war. Ich hatte ihn vollkommen verdrängt. Vor etwa einem Jahr habe ich ein Foto von ihm gesehen und wusste, dass er den Fallenstellern nicht entkommen war. Bei unserem letzten Treffen rannte er als fadendünner 17-Jähriger während eines Sportfests um die Wette, jetzt füllte ein bierfassfetter Ex-Hallodri das Bild, mit einem vom Wohlstand verwüsteten Gesicht. Unterm Cowboyhut. Ist er angekommen? Dort, wo er ankommen wollte?
    Am dritten Tag regnet es. Ich besteige morgens einen Stadtbus, will zur National Library . Nur in Begleitung von ein paar Hunderttausend Büchern komme ich heute über die nächsten zehn Stunden. Und wieder passiert etwas, was mich selbst jetzt beim Schreiben zum Kichern verführt. »Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt«, bemerkte Hamlet zu Horatio und die folgende Szene ist der unwiderrufliche Beweis für die Worte des dänischen Zauderlings. Ich gehe vor zum Fahrer, stelle mich neben ihn und sage:
    â€“ One ticket, please.
    â€“ Adult or child?
    Wer hätte gedacht, dass ein Herr im besten Alter, der seinen siebten Geburtstag schon eine Zeit lang hinter sich hat, noch als Kind durchgeht. O.k., so sei es. Ich will endlich auch Schnäppchenjäger sein, eiskalt antworte ich, mit Männerstimme: »One child, please.« Der Bus ist fast voll, keiner lacht, keiner wacht auf, die Toten fahren zur Arbeit.
    Während der Fahrt fange ich an zu verstehen. Eigentlich darf man darüber nicht kichern, im Grunde müsste man schluchzen. Wir fahren durch eine residential area , vorbei an Hunderten blitzblanker, in
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