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Die Magier von Shannara 2 - Der Baum der Talismane

Titel: Die Magier von Shannara 2 - Der Baum der Talismane
Autoren: Terry Brooks
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Eins
    Sen Dunsidan, der Premierminister der Föderation, blieb stehen, als er zur Tür seines Schlafzimmers gelangte, und schaute über die Schulter zurück.
    Es war niemand da, der nicht hergehört hätte. Seine Leibwache an der Tür, die beiden Posten an den Enden des Flurs - sonst niemand. Hier war nie jemand. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich jeden Abend zu vergewissern. Aufmerksam suchte er den von Fackeln erhellten Gang ab. Schließlich konnte es nicht schaden, sich Sicherheit zu verschaffen. Vorsicht hatte stets ihren Wert. Er trat ein und schloss leise die Tür hinter sich. Das warme Licht und der süße Duft der Kerzen begrüßten ihn. Er war der mächtigste Mann im Südland, wenn auch nicht der beliebteste. Das hatte ihm nichts ausgemacht, bevor er es mit der Ilse-Hexe zu tun bekommen hatte, doch seitdem verspürte er eine ständige Beunruhigung. Obwohl die Hexe nun endlich verschwunden und in ein Reich des dunklen Wahns und der Blutgier verbannt war, aus dem bisher noch keiner zurückgekehrt war, fühlte er sich nicht sicher.
    Einen Augenblick lang stand er da und betrachtete sein Bild in dem riesigen Spiegel an der Wand, dem Bett gegenüber. Eigentlich hatte er den Spiegel dort aus anderen Gründen anbringen lassen: um sich bei Ausschweifungen und Spielen der Lust zu beobachten, die ihm nun so fern erschienen, als hätten sie sich in einem anderen Leben ereignet. Gewiss konnte er diesen Freuden jederzeit wieder frönen, doch würden sie ihm, wie er genau wusste, kein Vergnügen mehr bereiten. Kaum etwas erfüllte ihn heute noch mit Lust. Sein Leben hatte sich zu einer Routine entwickelt, die er teils mit grimmiger Entschlossenheit und teils mit eisernem Willen absolvierte. Jede Handlung, jedes Wort hatte Auswirkungen, die sich weit über den unmittelbaren Moment hinaus erstreckten. Für andere Dinge blieben weder Zeit noch Raum. Eigentlich sah er auch keine Notwendigkeit dafür.
    Sein Spiegelbild starrte ihn an, und mit mildem Erschrecken stellte er fest, wie alt er geworden war. Wann war das geschehen? Er stand in der Blüte seiner Jahre, war gesund an Körper und Seele, hatte den Höhepunkt seiner Karriere erreicht, und man konnte ihn durchaus als den wichtigsten Mann der Vier Länder betrachten. Und doch, was war aus ihm geworden? Sein Haar hatte sich fast weiß gefärbt. Sein einst glattes, ansehnliches Gesicht war von Furchen durchzogen und abgehärmt. An manchen Stellen hatten sich die Sorgen in dunklen Flecken niedergeschlagen. Er war leicht gebeugt, früher hingegen hatte er aufrecht gestanden. Selbstvertrauen oder Stärke strahlte er überhaupt nicht mehr aus. Er kam sich vor wie eine leere Hülle, der man das Leben entzogen hatte.
    Augenblicklich wandte er sich ab. Die Furcht und der Ekel vor sich selbst waren dafür verantwortlich gewesen. Und vor dem, was der Morgawr ihm in jener Nacht angetan hatte, als dieses Ungeheuer den gefangenen Freien im Föderationsgefängnis das Leben ausgesaugt hatte. Niemals hatte er den Anblick dieser lebenden Toten vergessen können, Kreaturen, deren Existenz über den Willen des Hexenmeisters hinaus keine Bedeutung mehr hatten. Selbst nachdem der Morgawr ausgelöscht worden war, wurde Dunsidan die Erinnerung an diese Nacht nicht los, und der Wahnsinn lauerte nur darauf, dass sich der Premierminister einen Schritt zu weit aus der Sicherheit von Schein und Heuchelei wagte, die seine geistige Gesundheit bewahrten.
    Das Amt des Premierministers brachte ihm den Respekt seiner Untertanen ein, doch wurde dieser mittlerweile nicht mehr so willig gewährt wie zu Beginn, als sein Volk große Erwartungen in ihn gesetzt hatte. Diese Hoffnungen lagen längst in der Erde zwischen den Felsen der prekkendorranischen Anhöhe begraben, wo so viele Kämpfer das Leben verloren und ihr Blut vergossen hatten. Die Erwartungen hatten sich verflüchtigt, weil er darin versagt hatte, diesen Krieg zu beenden, der die Vier Länder seit fast drei Jahrzehnten verheerte; weil er sich einer Lösung dieses Konflikts nicht einmal genähert hatte. Die Hoffnungen waren erloschen, weil er daran gescheitert war, das Prestige der Föderation in den Augen jener zu vergrößern, denen das Südland am Herzen lag, und würde er am morgigen Tag sterben, wäre sein Nachlass eine Mischung aus Verbitterung und Enttäuschung.
    Er ging zu seinem Bett, setzte sich, griff automatisch nach dem Krug Wein, der auf dem Nachttisch stand, und füllte den Kelch daneben. Anschließend trank er einen großen
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