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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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Wodonga. Nach Minuten hält ein hilfsbereiter Mensch, die ersten fünf Kilometer sind rasch geschafft. Dann muss er rechts ab, ich geradeaus. Und jetzt stehe ich und zähle mit. 321 Autos ziehen an mir vorbei, das wären etwa tausend Sitze, auf denen ich hätte Platz nehmen können. Ganz offensichtlich bin ich dem Held des Tages schon begegnet. Jetzt paradieren 321 Duckmäuser, die sich nicht dazu durchringen können, einen adrett gekleideten Herrn am helllichten Tag ganze vier Kilometer zu transportieren. »I see no bravery in your eyes«, singt James Blunt auf meinem iShuffle. Bevor Nummer 322 auftaucht, drehe ich ab und gehe los.
    Der Besitzer meines Motels, der Allrounder, der persönlich die Frühstückstabletts an die Betten seiner Gäste bringt, hat mir gestern Abend von einem Deutschen erzählt, der hier in der Gegend lebt. Als Metzger. Den will ich jetzt finden. Er muss reden. Über seine Gründe, hierherzukommen. Ich rufe die paar »Peters« an, die im Telefonbuch stehen, irgendwann hebt der richtige ab, Lutz Peters. Ich sage ihm, dass ich ihn ausfragen will, und er sagt ja.
    Mit dem Taxi nach Albury, der Schwesterstadt von Wodonga, auf der anderen Seite des Murray River. Vor der Metzgerei Peters & Son steige ich aus, eigentlich ein smallgoods shop , eine Wursterei. Der 57-Jährige fremdelt zuerst, aber dann bittet er mich in den Raum, wo gemetzgert wird, wo die toten Schafe und Schweine hängen. Als Kleinkind wanderte er 1952 mit seinen Eltern nach Australien aus, an seine Zeit in Berlin und Bonegilla kann er sich nicht erinnern. Sein Vater war Soldat an der Russland-Front, entkommt, wird verwundet, schlägt sich nach Berlin durch und findet Arbeit als Koch bei den Amerikanern. Und findet Gisela, die beiden heiraten. Und wollen weg. Sie haben genug von Europa gesehen, um den Erdteil als hoffnungslos abzuschreiben. Außerdem jagt sie Tag und Nacht die Angst, dass die roten Horden das Abendland überrennen. Ursprünglich wollten sie nach Kanada, aber das Land wollte nicht, also Australien. Vor 1952 ging es nicht, denn bis dahin waren Deutsche nicht erwünscht.
    Paul, der gelernte Metzger-Vater war gerissen, ein Arbeitstier, ein Zupacker. Frühzeitig verlässt er Bonegilla, will von den zwei Jahren, zu denen er sich als Aushilfskraft auf einer Farm verpflichtet hat, nichts wissen, sucht sich einen Partner, zieht eine Fleischerei nach der andern auf, versorgt das Lager und verkauft vor allem an die deutschsprachige Klientel. Und hilft anderen, sich zu integrieren. Jeder schätzt ihn, auch die Australier. Paul boomt.
    Einst gab es in der Gegend sogar ein Germantown , aber nach '45 wurden alle deutschen Namen getilgt. Inzwischen hat sich die Lage entspannt, jetzt kehren manche früheren Bezeichnungen zurück. Paul ist vor sechzehn Jahren einem deutschen Tod erlegen, dem Arbeitstod. Sein Sohn hat inzwischen zweimal »Germany« besucht (wir reden Englisch, seine Muttersprache klingt eher brüchig), es gefiel ihm, aber zu eng, zu kalt, zu viele Deutsche, kein weites Land, keine Tiefenschärfe.
    Lutz fragt, ob ich seine Mutter besuchen will. Natürlich will ich. Er ruft sie an und Gisela ist einverstanden. Mit Kuchen und Taxi durch eine dieser kleinen Städte, die riesige Flächen besetzen. Weil alle ein Eigenheim und eine Eigengarage besitzen. Und alle Jahre in ein größeres Eigenheim und eine größere Eigengarage umziehen. Noch plagt Australien keine Platznot.
    Vor den Murray-Gardens ankommen, einem wohlbestallten retirement village mit feinen Bungalows, in denen alte Menschen ihren Lebensabend verbringen. Frau Peters bittet mich in ihr großbürgerlich eingerichtetes Heim, durchaus mit Geschmack möbliert. Viele Bücher. Sie gefällt mir sofort, denn die 81-Jährige legt Wert auf Disziplin und gepflegtes Aussehen. Gerader Rücken, Blick in die Augen, irgendwann wird sie sagen, dass sie streng war. Mit sich und den anderen. In Breslau geboren, überlebt sie als Schülerin den Arbeitsdienst, die Bomben und den Krieg. Sie verliebt sich in Paul und Paul in sie. Wie wahr, sie wollten weg. Doch Berlin fluchtartig verlassen war verboten. Von den Russen. Also haben die Amerikaner das Gepäck nach Westdeutschland ausgeflogen, sie selbst sind mit zwei unauffälligen Taschen per Bus – angeblich, um Verwandte zu besuchen – nach Bremerhaven gefahren. Um dort das Schiff zu besteigen, Richtung Perth. Alles
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