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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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betonierten sie ein Desaster. Griffin, später: »I have planned a city that is not like any other in the world.« Wie man den Satz auch begreift, er ist schrecklich wahr. Als 60-Jähriger wird der Unglücksrabe von einem Baugerüst in Indien fallen und nicht viel später begraben. An unbekannter Stelle. Böse Menschen behaupteten damals, es gebe noch Gerechtigkeit hienieden.
    Ich bereite mich für den Abend vor, suche nach einem Unterschlupf. Und werde fündig. Ach, wie schnell man seine Ansprüche mäßigt. Ich lande im Canberra-Center – the ultimate shopping destination . Immerhin Mitmenschen, immerhin Kinos, immerhin eine relaxed and friendly atmosphere . Nichts als die Wahrheit. Ich besorge mir eine Zeitung, darf mich setzen – und lachen. Das beweist, wie Leute, die lange unterwegs sind, moralisch verkommen. Und ich weiß wieder, warum ich keine Romane lese. Denn noch immer ist die Wirklichkeit wunderlicher als jede Fantasie. Unter »Remembering too many losses« steht – und natürlich ist das nicht lustig, nur saukomisch –, dass die Canberra After Suicide Support Group , die Nach(!)-dem-Selbstmord-Beihilfe-Gruppe, zu ihrem jährlichen Treffen aufrief. Kürzlich hat sich die Polizeichefin erhängt. Was immer ihre Gründe waren, die Stadt, so darf man vermuten, gab ihr den Rest.
    Die letzten Stunden werden geradezu berauschend. Denn gegen 21 Uhr müssen sich die Canberraner – auf irgendein geheimes Signal hin – darauf geeinigt haben, ihre Häuser zu verlassen und die Cafés um den Garema Place zu besetzen. Viele Nationalitäten ziehen vorbei, natürlich auch Aussies, Männer und Frauen reden miteinander, Männer und Frauen flirten miteinander (was für ein Beweis für den unbesiegbaren Lebenswillen, mitten in der Wüste), Heizpilze wärmen die Terrassen, man darf schauen, hören, lesen, dem Nachbarn und sich einen Zigarillo anbieten. Und wieder lachen. Denn in der Presse machen die Stadtväter Werbung für ihren Unort, sprechen direkt die Sydneysider an, fordern sie auf, endlich hierherzuziehen. Das klingt (beinahe) so, als wenn der Oberbürgermeister von Murmansk die Bewohner Venedigs aufriefe, zu ihm zu kommen. Das hat was Rührendes, was märchenhaft Bescheuertes.
    Und dann finde ich im Illustriertenhaufen ein tatsächliches Märchen, der Beweis für vieles, auch dafür, dass man nur lange genug wühlen muss, um selbst in der Finsternis ein Glanzstück zu finden. Denn hier steht die Geschichte von Percy und Nellie B., beide 91. Als 18-Jährige lernen sie sich beim Tanzen kennen, 1937 heiraten sie, jetzt feiern sie die siebzig Jahre Verbundenheit. Ja, »sie feiern«, so reden sie. Nein, sie reden eben nicht, sie kommunizieren per Zeichensprache, die zwei sind von Geburt an taubstumm. Das, sagen sie, hat sicher zu ihrem Glück beigetragen. Kein aneinander Vorbeibrüllen, nichts in furioser Wut aussprechen, was nie mehr unausgesprochen sein kann. Waren sie wütend aufeinander, dann haben sie sich die Rücken zugekehrt und jeder hat vor sich hingefingert. Aber es blieb »leise«, keine schrillen Verletzungen flogen hin und her. Hatten sie beide ausgestunken, dann drehten sie sich wieder zueinander und fingerten: »I love you, darling.« Ja, das sei wohl das Geheimnis ihrer beharr-lichen Liebe, meinen sie. Den Mund halten können (müssen). Und der Humor, auch der sei hilfreich in stürmischen Zeiten.
    Man sieht zwei Fotos, beide mit Percy und Nellie. Das Bild der Hochzeit, sie a stunning beauty , er ein hunk , der es mit jeder Dorfschönen aufnehmen kann. Und links daneben eine Aufnahme, die vor ein paar Tagen entstand. Beide uralt, Brillenträger, kichernd, er verliebt den linken Arm um ihre Schultern, sie verliebt den Kopf auf seiner Männerbrust. Man glaubt alles, was sie behaupten. Auch die Liebe. Als ich nochmals auf die 91-Jährige blicke, geradezu gebannt von ihrer Fröhlichkeit, fällt mir sinnigerweise ein Interview mit Paul McCartney ein, das ich kürzlich las. Der Musiker meinte, dass er ein grundsätzlich warmes Verhältnis zu Frauen habe, »they are good«. Er erzählte, dass ihn als Elfjähriger eine Frau umarmt hatte, um ihn zu trösten. Diese Geste habe jenes Urvertrauen ausgelöst, ihn begreifen lassen, dass Wärme von Frauenarmen ausgehe. Nun, ob von allen, wer weiß. Aber von dieser Frau in Liverpool und von Nellie,
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