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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Autoren: Robin Hobb
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PROLOG
TRÄUME UND ERWACHEN
     
    Weshalb ist es verboten, genaues Wissen über Magie schriftlich niederzulegen? Vielleicht, weil wir alle fürchten, solches Wissen könne in die Hände einer Person fallen, die nicht geeignet ist, davon Gebrauch zu machen. Von jeher hat es ein System der Ausbildung von Schülern gegeben, um sicherzustellen, daß spezifische Kenntnisse auf diesem Gebiet nur an jene vermittelt werden, die wissen, was sie tun, und sich würdig erwiesen haben. Während dies ein löblicher Versuch zu sein scheint, uns vor unlauteren Autodidakten zu schützen, wird dabei außer acht gelassen, daß nicht dieses Wissen die Grundlage ist, aus der Magie entsteht. Die Befähigung für eine bestimmte Form der Magie ist entweder angeboren oder nicht vorhanden. Die Fähigkeit für die Gabe, zum Beispiel, ist eng mit der Blutlinie des Königshauses Weitseher verknüpft, obwohl sie auch als ›wilder Trieb‹ bei Leuten vorkommt, die durch ihre Vorfahren sowohl von den Inlandvölkern als auch von den Outislandern abstammen. Jemand, der in der Gabe ausgebildet ist, vermag das Bewußtsein eines anderen zu berühren, über jede Entfernung hinweg, und dessen Gedanken zu lesen. Die in besonderem Maße der Gabe Kundigen sind imstande, diese Gedanken zu beeinflussen oder mit dem Betreffenden zu kommunizieren. Alles in allem ein durchaus nützliches Werkzeug, um in einer Schlacht die Truppen zu befehligen oder Nachrichten zu übermitteln.
    Im Volk weiß man von einer seit undenklichen Zeiten existierenden Magie, heutzutage verpönt, der alten Macht. Kaum jemand wird zugeben, diese Fähigkeit zu besitzen. Immer heißt es, die Bewohner des nächsten Tals seien darin bewandert, oder die Menschen jenseits der fernen Hügel. Ich vermute, es war einst das natürliche Talent derer, die als Jäger dieses Land durchstreiften, statt seßhaft zu werden; eine spezielle Magie für all jene, die sich den wilden Tieren des Waldes verbunden fühlten. Die alte Macht, heißt es, verlieh die Fähigkeit, die Sprache der Tiere zu verstehen, doch eine Warnung galt es zu beachten: daß alle, die die Macht zu lange oder zu gut ausübten, sich schließlich in das Tier verwandelten, mit dem sie sich verschwistert hatten. Aber das sind vielleicht nur Märchen.
    Daneben gibt es die Heckenmagie, obwohl es mir nie gelungen ist, den Ursprung dieser Bezeichnung herauszufinden. In diese Kategorie gehören – teils durch Beweise belegt, teils fragwürdig – das Deuten von Handlinien, Wasserlesen, die Auslegung von Bildern in Kristallen sowie eine Vielzahl anderer Praktiken, mittels derer versucht wird, die Zukunft vorherzusagen. Eine eigene, unbenannte Gruppe bilden die Spielarten, die physische Effekte erzeugen, wie Unsichtbarkeit, Levitation, toten Gegenständen Leben oder Beweglichkeit verleihen – sämtlicher Hokuspokus aus den alten Märchen. Ich weiß von keinem Volk, das die letztgenannten Kräfte für sich in Anspruch nimmt. Sie scheinen einzig Auswüchse der Phantasie zu sein, in ferner Vergangenheit oder fremden Ländern angesiedelt oder Geschöpfen der Mythologie zugeschrieben: Drachen, Riesen, den Uralten, den Anderen, Elfen.
     
    Ich höre auf, um die Feder zu reinigen. Auf diesem armseligen Papier zerläuft der feinste Strich zu unförmigem Gekleckse, doch ich will für diese Worte kein gutes Pergament verwenden; vorläufig nicht. Ich zweifle, ob es gut ist, sie aufzuschreiben. Warum sie überhaupt dem Papier anvertrauen? Wird diese Geheimlehre nicht mündlich an jene weitergegeben werden, die würdig sind? Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Was wir in unserer Zeit für selbstverständlich halten, die Kenntnis dieser Dinge, mag eines Tages für unsere Nachfahren staunenswert und ein Rätsel sein.
    In keiner der Bibliotheken läßt sich viel an Material über Magie finden. Mühselig verfolge ich einen roten Faden durch einen Flickenteppich von Informationen. Ich entdecke vereinzelte Querverweise, beiläufige Andeutungen, mehr nicht. Alles habe ich in den letzten Jahren gesammelt und meinem Gedächtnis eingeprägt, immer mit der Absicht, mein Wissen aufzuschreiben. Aufzuschreiben, was ich aus eigener Erfahrung weiß, wie auch, was ich in akribischer Kleinarbeit zusammengetragen habe. Antworten vielleicht für einen anderen armen Toren, irgendwann in der Zukunft, der ebenso unter dem Widerstreit der magischen Kräfte in sich zu leiden hat wie ich.
    Doch sobald ich mich anschicke, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, zögere ich. Wer bin
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