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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Autoren: Robin Hobb
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die sie von ihrem Vater bekam. Trotz allem liebte sie ihn, etwas, das ich nie verstehen konnte. Er murrte und schimpfte, selbst während sie ihn nach einer seiner Zechtouren nach Hause führte und zu Bett brachte. Und wenn er aufwachte, empfand er nicht die mindeste Reue wegen seiner Trunkenheit und groben Worte. Es gab nur wieder Schelte: weshalb war der Laden nicht ausgefegt und der Boden nicht mit frischen Binsen bestreut? Warum hatte sie nicht nach den Bienenstöcken gesehen, wo es doch kaum mehr Honig zum Verkaufen gab? Warum hatte sie das Feuer unter dem Unschlittkessel ausgehen lassen? Oft und oft hatte ich als stummer Zeuge daneben gestanden.
    Doch nichts hinderte Molly daran, zu wachsen und zu gedeihen. Und eines Sommers erblühte sie unerwartet zu einer jungen Frau, die mich befangen machte mit ihrer Tüchtigkeit und ihren weiblichen Reizen. Sie hingegen schien sich nicht im mindesten bewußt zu sein, daß ein Blick aus ihren Augen genügte, mich sprachlos zu machen. Keine Magie, über die ich verfügte, nicht die Gabe und nicht die alte Macht, wappnete mich gegen die zufällige Berührung ihrer Hand oder bewahrte mich vor der linkischen Befangenheit, die mich bei ihrem Lächeln überkam.
    Soll ich beschreiben, wie ihr Haar im Wind flog oder wie die Farbe ihrer Augen sich von dunklem Bernstein zu warmem Braun wandelte, je nach ihrer Stimmung und der Farbe ihrer Kleider? Ich erspähte das Rot von ihrem Rock und Schultertuch im Gedränge auf dem Marktplatz und nahm plötzlich nichts anderes mehr wahr. Das war ihre Zaubermacht.
    Wie ich sie umwarb? Mit der unbeholfenen Galanterie eines Knaben; ich gaffte sie an wie ein Tor, der von den wirbelnden Tellern eines Jongleurs gebannt ist. Sie wußte, daß ich sie liebte, bevor ich selbst es begriff, und ließ sich von mir den Hof machen, obwohl ich einige Jahre jünger war als sie und keiner der Burschen aus der Stadt und ohne vielversprechende Zukunftsaussichten – ihres Wissens. Sie glaubte, ich wäre des Schreibers Laufbursche, der nebenbei im Stall half und für die Leute auf der Burg Botengänge unternahm. Wie sollte sie ahnen, daß ich der Bastard war, der illegitime Sohn, dessentwegen Prinz Chivalric von seinem Platz als Thronfolger hatte zurücktreten müssen. Das allein war schon ein schwerwiegendes Geheimnis. Von meinen magischen Kräften und meinem anderen Beruf wußte sie erst recht nichts.
    Vielleicht war das der Grund, weshalb ich sie lieben konnte.
    Ganz gewiß führte es dazu, daß ich sie verlor.
    Ich ließ mich zu sehr von den Heimlichkeiten und Fehlschlägen und Schmerzen meiner übrigen Leben in Anspruch nehmen. Es galt, die Praktiken der Magie zu erlernen, Geheimnisse auszukundschaften, Menschen zu töten, Intrigen zu überleben. Darin gefangen, kam mir nie der Gedanke, ich könnte mich an Molly wenden, um ein gewisses Maß von der Hoffnung und dem Verständnis zu finden, die ich sonst nirgends bekam. Sie hatte nichts mit diesen Dingen zu tun, blieb davon unbefleckt, und ich trug Sorge, daß sie nicht damit in Berührung kam. Nie machte ich den Versuch, sie in meine Welt herüberzuziehen. Statt dessen begab ich mich in die ihre, in die kleine Hafenstadt, wo sie in ihrem Lädchen Kerzen und Honig verkaufte, auf dem Markt Besorgungen erledigte und manchmal mit mir am Strand spazieren ging. Mir genügte, daß sie da war, damit ich sie lieben konnte. Ich wagte nicht zu hoffen, sie könnte dieses Gefühl erwidern.
    Es kam eine Zeit während meiner Ausbildung in der Gabe, als mein Elend mich derart zu Boden drückte, daß ich glaubte, sterben zu müssen. Ich konnte mir nicht verzeihen, daß ich ein so unfähiger Schüler war; ich redete mir ein, jeder müsse mich wegen meines Versagens geringschätzen. Ich verbarg meine Verzweiflung hinter schroffer Unnahbarkeit. Die Wochen vergingen, ohne daß ich sie besuchte oder ihr wenigstens ausrichten ließ, daß ich an sie dachte. Zu guter Letzt, als es niemand anderen mehr gab, an den ich mich hätte wenden können, ging ich zu ihr. Zu spät. An dem Nachmittag, als ich mich, Geschenke in der Hand, der Kerzenzieherei in Burgstadt näherte, kam ich gerade recht, um sie weggehen zu sehen. Nicht allein. Mit Jade, einem gutaussehenden breitschultrigen Seemann, den ein kühner Ring in einem Ohr schmückte und die selbstsichere Männlichkeit der Jahre, die er mir voraus hatte. Unbemerkt, geschlagen, schlich ich davon und schaute ihnen nach, wie sie die Straße hinunterschlenderten, Arm in Arm. Ich ließ sie gehen,
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