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Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Titel: Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Autoren: Lori Handeland
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    1
    E s roch vielversprechend nach Frühling, nach jungen Trieben, Blütenknospen und frischem Gras an jenem Tag, als mein altes Leben für immer zu Ende ging. Eigentlich hätte ich sofort wissen müssen, dass irgendetwas in der Luft lag.
    Ich habe immer schon übernatürliche Fähigkeiten gehabt. Froh hat mich das nie gemacht. Ehrlich gesagt, habe ich alles darangesetzt, meine Begabung im Einerlei eines ganz normalen Lebens zu vergessen.
    Doch jegliche Normalität hat sich an jenem Morgen im Mai aus dem Staub gemacht und ist nie wieder in mein Leben zurückgekehrt. Inzwischen bin ich mir noch nicht einmal mehr sicher, ob es so etwas wie Normalität für mich überhaupt jemals gegeben hat.
    An diesem Morgen war ich wie immer zur Arbeit gegangen. Frühschicht im Murphy’s, einer Kneipe im Osten von Milwaukee, in der sich vor allem Bullen herumtreiben. Fünfundzwanzig und immer noch Kellnerin! Wahrscheinlich hätte ich mir um meinen beruflichen Werdegang mehr Sorgen gemacht, wenn ich mich nicht schon selbst einmal als Bulle versucht hätte – und dabei gescheitert wäre.
    Bullen und Hellseher können nicht miteinander. Kann man sich an zehn Fingern abzählen.
    Nicht dass ich meine Fähigkeiten jemals an die große Glocke gehängt hätte. So blöd war ich nun auch wieder nicht. Aber manchmal ließ es sich einfach nicht verbergen. Und zuweilen wäre Schweigen ein größeres Verbrechen gewesen.
    Klar habe ich versucht, es herunterzuspielen, mir Ausreden einfallen zu lassen, warum ich auf unerklärliche Weise Zugang zu bestimmten Informationen hatte. Aber wie kann man sich da schon herausreden? Mir ist jedenfalls nie etwas Glaubwürdiges eingefallen.
    Meine Kollegen misstrauten mir, weil sie mich nicht verstanden. Sie mieden mich, so gut es ging, es sei denn, sie brauchten meine Hilfe. Dann blieb mir kaum etwas anderes übrig, als auf ihre Fragen zu antworten, falls ich eine Antwort hatte. Doch eines Tages führten meine allzu genauen Vorahnungen zu einer Katastrophe, und ich musste den Dienst quittieren.
    Gott sei Dank gab es Megan Murphy – ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte.
    Megan war zum Glück schon selbst einmal in der gleichen Situation gewesen: mutterseelenallein und verzweifelt, ohne einen Pfennig Geld. Sie war durch meine Schuld Witwe geworden, aber für sie war das kein Grund, mir nicht zu helfen.
    Viele Bullen arbeiten nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst als Privatdetektive. Ich hatte die notwendige Ausbildung und sogar eine Waffe. Fehlten nur noch die Zulassung und ein Schild mit der Aufschrift: Elizabeth Phoenix – Diskrete Untersuchungen.
    Da kann sich jeder lebhaft vorstellen, welche Art von Laufkundschaft ich damit angelockt hätte.
    Am Ende habe ich mich für den Job im Murphy’s entschieden. Ich stand tief in Megans Schuld, und dafür wollte ich am liebsten täglich büßen. Hinter dem Tresen einer Bullenkneipe zu stehen, nachdem mein Partner durch meine Schuld ums Leben gekommen war, eignete sich für diesen Zweck hervorragend.
    An diesem besagten Morgen hatten mir die Kunden schon vor elf die Bude eingerannt. Milwaukee ist nicht ohne Grund durch sein Bier bekannt geworden. Sobald die Sonne scheint und die Temperaturen über den Gefrierpunkt klettern, machen sich die Leute in meiner Heimatstadt schnurstracks auf den Weg zum nächsten Miller Lite.
    Ich öffnete Fenster und Türen sperrangelweit und beobachtete, wie die jungen Baumtriebe im Wind zitterten und dabei tanzende Schatten auf den Bürgersteig warfen, dunkel wie Gewitterwolken. Der Frühlingswind zauste mir die Haare, und trotz der ungewohnten Hitze bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis …
    „Verschwinde!“
    Die fünf Bullen am Tresen sahen von ihren Biergläsern und den Tellern mit belegten Broten auf. Sie warfen ihre Blicke erst in die Runde, und dann schauten sie mich an.
    „Ihr seid nicht gemeint“, sagte ich.
    Mit rollenden Augen und verächtlichem Schnauben wandten sie sich wieder ihrem Essen zu.
    Warum in aller Welt hatte ich das bloß laut gesagt? In Wahrheit war ich eben nicht normal, wie sehr ich mich darum bemühte.
    Meine Mittagsverstärkung war noch nicht da, aber das war egal, denn im Murphy’s waren alle Stammgäste. Wenn Megan mitten in der Nacht Probleme mit einem ihrer Kinder hatte, warf sie dem ranghöchsten Bullen einfach die Schlüssel zu und ging ihrer Wege.
    „Kenny.“ Der Mann schaute finster von seinem Bier auf. Mittlerweile hatte
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