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Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Titel: Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast
Autoren: Lois Duncan
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will noch nicht einmal in sie hineinsehen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. Sie werden immer dunkler! Dunkler und dunkler, je länger er redet. Wie habe ich diese Augen nur jemals hübsch finden können?
    »Hör zu, Helen«, fuhr Collie in dem leisen sachlichen Tonfall fort, in dem er schon die ganze Zeit sprach, und der viel bedrohlicher wirkte, als wenn irgendein Gefühl darin gelegen hätte. »Ich hatte im Irak einen Nervenzusammenbruch, hatte ich das erwähnt? Und ich war nicht der Einzige. Viele meiner Kameraden sind durchgedreht. Mitanzusehen, wie Menschen in tausend Stücke zerfetzt werden … das macht irgendwie etwas mit einem. Tja, und was ist los, als ich dann nach Hause komme? Mein kleiner Bruder ist tot. Meine Mutter ist in der Klapse, mein Stiefvater hat seinen Job aufgegeben, um bei ihr sein zu können, und meine Schwester Megan hockt ganz allein in unserem Haus in den Bergen und ist krank vor Sorge. Unsere komplette Familie ist zerstört worden – und was ist mit euch? Denjenigen, die an all dem schuld sind? Du hast einen coolen Job beim Fernsehen und verdienst einen Haufen Kohle, Barry Cox ist ein gefeierter Footballstar, Raymond Bronson genießt Sonne, Strand und Meer in Kalifornien, und Julie James freut sich, dass sie am Smith College angenommen wurde. Euer Leben könnte gar nicht besser laufen.«
    »Also hast du beschlossen, uns zu töten?« Helen sprach die Worte aus, obwohl sie nicht daran glauben konnte.
    Aber das kann nicht sein, das ist Collie, dachte sie fassungslos, das ist der nette Typ von nebenan, der sich ein bisschen in mich verknallt hat und der sich an dem Abend, als Barry angeschossen wurde, geradezu rührend um mich gekümmert hat. Der mich ins Krankenhaus gefahren und all die Stunden mit mir gewartet hat, bis wir wussten, dass Barry außer Lebensgefahr war. Warum? Warum hat er das alles für mich getan?
    »Ich habe dich ins Krankenhaus gefahren«, beantwortete Collie ihre unausgesprochene Frage, »weil das die einzige Möglichkeit war, herauszufinden, ob ich den Dreckskerl erledigt hatte. Es war dunkel auf der Sportanlage, und er ist zurückgewichen, als ich die Taschenlampe angeknipst habe. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig getroffen hatte, und wollte die Sache, wenn nötig, im Krankenhaus zu Ende bringen. Aber dann habe ich erfahren, dass er wahrscheinlich nie wieder laufen können wird und mich damit zufriedengegeben. Für einen Typen wie Barry ist ein Leben im Rollstuhl sogar eine noch schlimmere Strafe als der Tod.«
    Helens Handy, das auf der Kommode lag und gerade aufgeladen wurde, klingelte. Die blecherne Melodie, die plötzlich erklang, lenkte Collie einen Augenblick lang ab.
    In diesem Moment fiel die Panik, die Helen gelähmt hatte, von ihr ab, und sie nutzte ihre Chance, um aufzuspringen und loszulaufen. Statt die Tür oder das Fenster zu erreichen, rannte sie in die entgegengesetzte Richtung durch das Schlafzimmer ins Bad.
    Sie knallte die Tür hinter sich zu, schob den Riegel vor, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und rang nach Atem, als Collie sich auch schon von der anderen Seite mit seinem ganzen Gewicht dagegen warf.
    Während er wütend am Knauf rüttelte, blickte Helen sich hektisch nach einer Waffe um, aber da lagen nur ihre Kosmetikutensilien, die sie in ihrer Harmlosigkeit geradezu zu verhöhnen schienen – ein Körbchen mit Schminksachen, ihre Haarbürste, flauschige Handtücher im Regal, Flaschen mit Shampoo, Conditioner und Duschgel.
    Hoch über der Toilette war ein verglastes Quadrat in die Wand eingelassen, das jedoch lediglich Licht spendete, sich aber nicht öffnen ließ.
    Das Rütteln am Knauf endete abrupt. Lediglich das anhaltende Dudeln ihres Handys im Wohnzimmer war noch eine Weile zu hören, bis es schließlich auch verstummte.
    »Collie?«, rief Helen nervös.
    Bleierne Stille.
    Vor weniger als zwei Stunden hatte Ray ihr noch erzählt, Barry hätte behauptet, der Anschlag auf ihn sei ein Raubüberfall gewesen. Wie hatte Barry sie nur so belügen und dadurch in trügerischer Sicherheit wiegen können? Oder hatte Ray gelogen?
    »Ich kenne Ray besser als ihr, und ich sage euch, er würde so etwas niemals tun«, hatte Julie an dem Tag gesagt – war es wirklich erst eine Woche her? –, als sie mit der Nachricht, die Collie ihr geschickt hatte, zu ihr gekommen war.
    Helen hatte ihr damals recht gegeben, und sie wusste auch jetzt, während sie zitternd in der unheilverkündenden Stille verharrte, dass Ray nicht gelogen hatte. Er
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