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Weinstrassenmarathon

Weinstrassenmarathon

Titel: Weinstrassenmarathon
Autoren: Markus Guthmann
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PROLOG
    Heinrich Denecke war Landwirt mit Leib und Seele. Er liebte den feuchten Geruch der Erde, das Rauschen des Weizens an einem heißen Sommertag, den Dieselgeruch und das kraftvolle Rütteln, wenn er mit seinem schweren Traktor über das Feld donnerte. Er war neunundfünfzig, ein Bär von einem Mann und bedauerte, dass es mit dem geliebten Berufsstand bergab ging. Vorige Woche hatte er einen weiteren Schlussstrich gezogen. Er hatte die letzten sechs Hektar Acker verpachtet, auf denen er noch kurz zuvor die Zuckerrübenernte eingefahren hatte. Die Sache mit dem Weizen hatte er im vergangenen Jahr aufgegeben. Es rentierte sich einfach nicht mehr. Wein war noch attraktiv. Er freute sich, dass er vor einigen Jahren den richtigen Riecher gehabt und auf Chardonnay gesetzt hatte. Chardonnay hatte sich zum echten Modewein entwickelt, und seine Ernte konnte er zu einem guten Preis an einen jungen Edelwinzer im Nachbardorf verkaufen. Holz lohnte sich ebenfalls nicht mehr, das Wäldchen war entsprechend vernachlässigt. Also hatte er sich vorgenommen, Platz für Chardonnay zu schaffen – oder doch lieber Spätburgunder? Er legte die schwere Kette um den Baumstumpf, der noch etwa einen Meter über den Boden aufragte. Die Bäume hatte er an den Vortagen gefällt, die meisten Stümpfe hatte er bereits rausgerissen. Dies war mit Abstand der größte. Denecke überzeugte sich vom richtigen Sitz der Kette. Schon einmal war ihm die Kette um die Ohren geflogen, weil das blöde Kettenschloss riss. Dass er mit dem Schrecken davonkam, verdankte er dem Überrollbügel seines alten Treckers, der den Stahlhagel aufhielt, bevor er ihm das Rückgrat brechen konnte. Jetzt fuhr er einen nagelneuen grünen Traktor mit einer vollverglasten Hightech-Kabine, die ihn noch besser schützte. Aber der Sachschaden würde ungleich größer sein.
    Er war lange genug im Geschäft, um sich noch an die Zeiten zu erinnern, als die Traktoren nicht so superkomfortabel waren wie dieser. Mit Klimaanlage, Radio, Satellitennavigation und anderen technischen Errungenschaften war ein Sechzehn-Stunden-Tag viel leichter erträglich. Früher musste ein Blechteller als Sitz genügen, und die Gülle spritzte beim Düngen den Rücken hoch.
    Er legte den Gang ein, gab gefühlvoll Gas, die Kette straffte sich. Er trat das Pedal durch, es gab einen Ruck, dann einen Schlag, das Hightech-Gefährt bäumte sich auf, grub sich mit den Hinterrädern ein. Denecke fluchte, so etwas war ihm noch nie passiert, und dazu noch mit diesem hypermodernen Fünftonnengerät. Er stoppte den Motor, sprang aus der Kabine. Gottverdammt, was war das? Der rechte Hinterreifen war bis zur Achse eingesunken, ein Loch gähnte dem Landwirt entgegen. Das konnte kein alter Dachsbau sein.
    Denecke bückte sich, wischte Erde beiseite, griff in das Loch, wühlte blind im Staub, bis er schließlich einen länglichen, abgerundeten Gegenstand ertasten konnte. Noch bevor er das Ding ans Tageslicht beförderte, wurde ihm schlagartig klar, was er hier vor sich hatte. Ein Grab! Ein altes Grab, vielleicht aus der Römerzeit oder von den Franken. Denecke wusste von seinem Großvater, dass der Burgberg seit Urzeiten besiedelt war. Spuren reichten bis zu den Römern zurück, davon zeugten Münzfunde. Auf der anderen Seite des Berges waren in den zwanziger Jahren Merowingergräber gefunden worden. Teile der Kirche stammten aus dem siebten Jahrhundert, und das Gotteshaus wurde bereits im Lorscher Codex erwähnt, einer Art frühem Grundbuch der Pfalz. Denecke betrachtete den langen Oberschenkelknochen nachdenklich. Was sollte er tun? Einen archäologischen Fund musste er dem Landesdenkmalamt melden, aber dann konnte er es vergessen, hier in den nächsten Jahren Wein zu pflanzen. Bis die Archäologen mit ihrer Prioritätenliste bei seinem Grundstück angelangt waren, konnten Jahre vergehen.
    Er erinnerte sich an die Geschichte seines verstorbenen Freundes, des Vaters jenes Winzers, dem er heute seine Trauben lieferte. Dort hatte man in den achtziger Jahren eine römische Kelteranlage gefunden, und es dauerte Jahrzehnte, bis die weitere Nutzung klar war. Heute war diese Kelter nebst dem dazugehörigen Herrenhaus eine Attraktion der Gegend, aber der Weg dorthin war steinig gewesen. Was, wenn der Fund gänzlich unbedeutend und den ganzen Hickhack nicht wert war? Er kletterte zurück ins
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