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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation
Autoren: Jan Guillou
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    Maria Szepelinska-Adamsson hatte noch neunzig Sekunden zu leben. Dabei hatte der Mann, der ihr den Rücken zuwandte - demonstrativ, wie sie meinte -, keinerlei Absicht, ihr weh zu tun.
    Er blickte aus dem Fenster, obwohl es dort nichts geben konnte, was ihn interessierte; da waren nur der schwarze Fluß, ein verlassener Park in winterlicher Dunkelheit auf der anderen Seite und fünf Weiden, deren niedrigste Äste fast bis zum Wasser reichten. Im Sommer war es anders, aber jetzt war es Winter und Nacht.
    Von seinem Gesicht konnte sie nur sehen, wie die Kiefermuskeln sich bewegten, als würde er bei jedem Wort die Zähne zusammenbeißen. Er hatte ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, daß er ihr nicht mehr antworten würde. Er weigerte sich zu reagieren, was immer sie sagte.
    Hätte sie mehr von ihm gewußt, hätte sie nur etwas davon geahnt, was bei den künftigen Ermittlungen der Polizei im Mittelpunkt stehen würde, hätte sie ihren plötzlichen Impuls ganz sicher unterdrückt. Aber jetzt war es, als wollte sie ihn zu einer Reaktion zwingen. Vermutlich war es nur das.
    Auf dem Glastisch neben ihr lagen ein Holzbrett mit den Überresten einer ungarischen Salami und das japanische Küchenmesser aus spezialgehärtetem Molybdänstahl, das er ihr bei seinem letzten Besuch mitgebracht hatte. Sie nahm das Messer an sich und hielt es in der Hand, während sie ihn von neuem zu einer Antwort zu zwingen versuchte. Doch er kehrte ihr nur den Rücken zu, eine undurchdringliche Mauer aus Schweigen. Als sie das Messer hob und mit ein paar eiligen Schritten auf ihn zuging, ließ sie einen kurzen Schrei der Wut oder der Verzweiflung hören, damit er sich umdrehte.
    Maria Szepelinska-Adamsson, die 34 Jahre alt wurde, hatte keine Zeit mehr zu begreifen, was geschah. Es ist zweifelhaft, ob sie überhaupt noch Schmerz spürte. Sie war jedoch schon bewußtlos, bevor sie auf dem Fußboden landete. Und dort, auf dem weißen, handgewebten Teppich, strömte das Leben jetzt schnell und unwiderruflich aus ihr heraus. Etwa ein halber Liter pro Pulsschlag.
    Die Schnittwunde an ihrem Hals reichte bis zum Nackenwirbel.
    Er stand lange über sie gebeugt und hielt das Messer fest umfaßt. Er hatte das Gefühl, als wären große Teile des Gehirns in einem plötzlichen Kurzschluß ausgeschaltet worden; er begriff, was rein äußerlich geschehen war, verstand jedoch nicht den Zusammenhang.
    Schließlich riß er sich aus seiner Lähmung, ging drei Meter weiter und ließ sich schwer in einen der weißen Ledersessel fallen. Neben ihm stand ein Telefon, und er streckte zunächst die Hand aus, um anzurufen, entschied sich jedoch mitten in der Bewegung anders, als er entdeckte, daß er das Messer noch immer in der Hand hielt.
    Er legte das Messer auf den Glastisch und blieb dann mehr als eine Stunde regungslos sitzen, während sein Blick von der toten Frau zum Telefon und weiter zu dem Messer auf dem Glastisch wanderte. Neben dem Messer sah er einen kleinen Blutfleck, der schon geronnen war, als er endlich einen Entschluß faßte.
    Er stand hastig auf und ging in die Küche. Am besten mit dem Abwasch beginnen. Im nachhinein würde niemand entscheiden können, ob vor oder nach dem Mord abgewaschen worden war, und jetzt verschwanden seine sämtlichen Fingerabdrücke von Porzellan, Gläsern und Besteck. Als er mit dem Abwasch fertig war, wischte er systematisch alle Flächen ab, mit denen er hätte in Berührung kommen können, als sie gemeinsam den Tisch gedeckt hatten. Dann nahm er ein paar Teller und einige Bestecke vom Trockengestell, wickelte sie in ein Handtuch, trug sie zu der toten Frau ins Wohnzimmer und stempelte die Gegenstände abwechselnd mit ihren linken und rechten Fingerspitzen.
    Als er Teller und Bestecke in das Trockengestell zurückgelegt hatte, nahm er einen feuchten Lappen und ging wieder ins Wohnzimmer. Er brauchte gut eine halbe Stunde, um alle Flächen abzuwischen, in deren Nähe er sich hätte befinden können. Diesmal hatte er das Schlafzimmer nicht betreten, was die Arbeit erleichterte. Als er auch Flur und Badezimmer von Spuren gereinigt hatte, begann die nächste Phase.
    Es war wichtig, daß er nichts übereilte, daß er sich Zeit nahm und nachdachte, was das weitere Vorgehen betraf.
    Es war zu spät, ein Sexualverbrechen zu arrangieren. Die gerichtsmedizinische Untersuchung würde ohne Zweifel alles ans Licht bringen, was nach dem Eintritt des Todes mit dem Körper geschehen war, und außerdem wollte er sie nicht so
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