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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation
Autoren: Jan Guillou
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Botschaftsgrundstück reicht fast bis zum Nilufer hinunter. Man kann sich mit den Ellbogen auf eine niedrige Steinmauer stützen und in den schwarzen, träge dahinfließenden Strom blicken. Von der Steinmauer, die das Botschaftsgrundstück abgrenzt, verläuft noch ein drei bis vier Meter breiter Uferstreifen, auf dem Unbekannte Bananen und Gemüse anbauen, bis zum Wasser, wo das Papyrusschilf beginnt. Dieser Gemüseanbau ist vermutlich illegal, aber kaum eine Angelegenheit für schwedische Behörden.
    Von der Muhammed Mahzar aus verläuft an der hohen, unüberwindlichen Mauer auf der Nordseite des Botschaftsgeländes entlang eine schmale Gasse. In dieser Gasse halten ein oder zwei bewaffnete Posten der ägyptischen Sicherheitskräfte Wache, die sämtliche Botschaften der Hauptstadt bewachen.
    Wohn und Repräsentationsräume des Botschafters liegen in einer Villa auf dem Botschaftsgelände, durch einen Rasen vom eigentlichen Botschaftsgebäude getrennt und mit Aussicht auf den Fluß. Im Erdgeschoß hat der Botschafter ein privates kleines Arbeitszimmer, in das er sich am Abend gewöhnlich zurückzieht.
    Dort saß er jetzt. Er war allein, da seine Familie sich in Schweden aufhielt. Er hatte drei Gin-Tonic getrunken und war leicht beschwipst. Die französischen Türen zum Garten standen offen. Von Zeit zu Zeit ließ die sanfte Brise das Laub der großen Mangobäume an der Mauer rascheln. Auf der anderen Seite des Nils glitzerte es in den neuen Hochhäusern, die seine Aussicht so radikal verändert hatten. Die schwierige Arbeit dieses Abends verursachte ihm Unbehagen. In drei Monaten würde das Schwedische Kulturinstitut in Kairo eine Schwedische Woche abhalten. Seine Majestät der König und Königin Silvia hatten ihr Erscheinen zugesagt, wogegen nicht viel zu sagen war. Das war wohl in Ordnung. Das Programm sollte jedoch hauptsächlich mit schwedischem Volkstanz, Ballett und einigen postmodernen Schriftstellern gefüllt werden, was immer darunter zu verstehen war. Ein Pianist sollte Chopin und Peterson-Berger spielen.
    Gegen Volkstanz, das Königspaar und Peterson-Berger war kaum etwas einzuwenden, aber Ballett und Chopin hatten erstens sehr wenig mit Schweden zu tun, zweitens fiel den meisten europäischen Nationen bei ihren Kulturwochen nichts Besseres ein, und drittens verabscheuen Araber Ballett oder finden es bestenfalls komisch, um nicht zu sagen lächerlich. Es wäre besser, ein paar schwedische Lyriker einzuladen, wobei es keinerlei Rolle spielte, wenn sie auf schwedisch lasen. Derlei begriff man zu Hause einfach nicht. Das Ballett ist in der arabischen Welt eine verlachte Kunstform, während Poesie in höchster Achtung steht. Die Frage war jetzt, wie er das in dem Bericht darstellen sollte, den er in den nächsten Tagen absenden mußte.
    Er meinte, hinten an der Mauer zum Fluß ein scharrendes Geräusch zu hören, aber er war zu sehr mit der Ballett-Frage beschäftigt, um sich auf das Geräusch zu konzentrieren. Statt dessen ging er zu seiner kleinen Hausbar und goß sich einen weiteren Gin-Tonic ein, jedoch ohne Eis. Das Eis war geschmolzen. Für Kairoer Verhältnisse war es ein ungewöhnlich warmer Winter.
    Als er sich umdrehte, stand ein Mann mittleren Alters mit europäischem Aussehen und einem schlammverschmierten, zu kleinen Mantel zwischen den französischen Fenstern im Raum.
    »Guten Abend, Herr Botschafter. Sie sind doch der Botschafter des Königreichs Schweden, hoffe ich?« sagte der Unbekannte in mühsam erkämpftem Englisch mit kräftigem slawischem Akzent.
    Die meisten Männer hätten an Erland Rickfors’ Stelle die so plötzlich entstandene Situation als unbehaglich oder bedrohlich empfunden. Ein kräftiger Mann mit grauen, kurzgeschorenen Haaren hatte sich an den Wachposten der Botschaft vorbeigeschlichen, war über die Mauer geklettert und in das private Arbeitszimmer des Botschafters eingedrungen, noch dazu nach Mitternacht. Möglicherweise wurde die Furcht des Botschafters durch die drei Gin-Tonic betäubt, doch was am Ende sein Verhalten bestimmte, war eher die absurd komische Situation, die sich - wie immer die Fortsetzung geraten mochte - gutartig zu entwickeln schien. Erland Rickfors liebte es, auf neue, am liebsten komische Geschichten zu stoßen, die er weitererzählen konnte.
    »O ja, ich bin der schwedische Botschafter«, lächelte er. »Was darf ich Ihnen anbieten? Whisky, Gin oder vielleicht Wodka? Das Eis ist mir leider ausgegangen.«
    Wenn der Mann tatsächlich ein Verrückter
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