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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation
Autoren: Jan Guillou
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Russe hatte sein Zögern offenbar mißverstanden.
    »Sie müssen verstehen, Herr Botschafter, ja, entschuldigen Sie, wenn ich sage, wie es ist, aber es hat zu meinen dienstlichen Obliegenheiten gehört, Teile Ihres militärischen und diplomatischen Funkverkehrs abzuhören, zu entschlüsseln und zu ordnen. Und im Hinblick auf die jetzige Situation… tja, selbst wenn meine Landsleute jetzt glauben, was ich sehr hoffe, daß ich mich bei den Amerikanern aufhalte, wird in der nächsten Zeit der gesamte diplomatische Funk und sonstige Verkehr von Kairo von allergrößtem Interesse sein. Im übrigen spielt es keine Rolle, ob Sie Ihre Meldungen per Telex oder Kurzwelle übermitteln. Können wir uns nicht lieber auf Diplomatenpost einigen? Und zwar an dem gewohnten Tag?«
    Der Botschafter nickte. Er fühlte sich matt und ganz leer im Kopf. Plötzlich erstaunte er seinen Gast, weil er schrill auflachte und dabei den Kopf schüttelte. Sein großes Problem hatte an diesem Abend bis vor kurzem darin bestanden, wie man ein paar postmoderne Romanautoren durch einige herkömmliche Lyriker ersetzen sollte, und wie er seinen Vorgesetzten beibringen sollte, daß man bei der kommenden Kulturwoche in Kairo lieber auf Ballett verzichten solle. Was sich jetzt abzeichnete, war so weit von der gewohnten diplomatischen Routine entfernt, daß er es am liebsten mit einer Art Naturkatastrophe verglichen hätte. Er zweifelte nicht im mindesten mehr daran, daß der grauhaarige, kurzgeschorene russische Seebär tatsächlich der war, für den er sich ausgab.
    Der Botschafter traf im stillen schnell drei Entscheidungen. Zwei davon waren klug, eine katastrophal. Erstens würde er den Gast in einem der jederzeit beziehbaren Gästezimmer unterbringen, die am selben Flur im Obergeschoß lagen, wo er und seine Frau ihr Schlafzimmer hatten. Zweitens würde er, wie sein Gast vorgeschlagen hatte, auf jeden Funkverkehr mit Stockholm verzichten und statt dessen sowohl seinen eigenen Bericht als auch den Brief des Vizeadmirals an die militärische Führung Schwedens per Diplomatenpost nach Hause schicken.
    Drittens würde er schon am nächsten Tag erste Verbindung mit seinem gewohnten Kontaktmann beim ägyptischen Sicherheitsdienst aufnehmen, der für die Wünsche ausländischer Botschaften zuständig war. Der Botschafter hegte keinerlei Zweifel, daß die Ägypter bereit sein würden, den Russen so schnell wie möglich außer Landes zu expedieren. Das Problem duldete keinen Aufschub, und je eher man es in Angriff nahm, um so besser: Der Russe mußte Ägypten verlassen und auf dem schnellsten Weg nach Schweden gebracht werden.
    Überdies wäre diese Lösung in diplomatischer Hinsicht das korrekteste Vorgehen. So würde Schweden nicht hinter dem Rücken der Ägypter handeln, was zur Beeinträchtigung der Beziehungen führen konnte.
    Der Botschafter teilte dem Russen seine ersten beiden Entscheidungen mit, und dann gingen sie gemeinsam ins Obergeschoß. Zum Erstaunen des Botschafters bat der Gast, die mehr als halbvolle Flasche mit russischem Wodka mitnehmen zu dürfen.
    »Sie müssen verstehen, Herr Botschafter, ich bin sehr traurig und habe vor, genau das zu tun, was ich schon als junger Mann tat, wenn ich traurig war, nämlich saufen. Wenn Sie jemanden singen hören, machen Sie sich keine Sorgen, das bin nur ich.«
    Es war fast zwei Uhr am Freitagmorgen ägyptischer Zeit, als sich die beiden Männer oben im Schlafzimmerflur trennten. Zu Hause in Schweden war es eine Stunde nach Mitternacht.
    Auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers in Norrköping lag Maria Szepelinska-Adamsson. Der größte Teil ihres Bluts lag in einem erstarrten Kuchen vor ihrem Gesicht.
    Im obersten Stockwerk eines vierstöckigen Hauses an der Kommendörsgatan in Stockholm war das vor kurzem gegründete Unternehmen Hamilton Data System AB dabei, sich zu installieren. Das blankpolierte Firmenschild aus rostfreiem Stahl mit schwarzem Relieftext war unten an der Haustür soeben angebracht worden.
    Für einen außenstehenden Besucher - und zu gegebener Zeit würden sie sich in großer Zahl einfinden - gab es an den hell eingerichteten Räumen mit italienischem Design, dem der Außenwelt zugewandten Gesicht des Unternehmens, nichts Ungewöhnliches oder Merkwürdiges zu sehen. Nicht einmal die Teile des Büros, zu denen Außenstehende keinen Zutritt erhalten würden, zeigten etwas anderes als ein soeben gegründetes EDV- Unternehmen. Ein Computerexperte wäre möglicherweise zu dem Schluß gekommen,
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