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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation
Autoren: Jan Guillou
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erniedrigend behandeln, wie es dafür nötig gewesen wäre.
    Sie war tot, ermordet von einem Experten in Sachen Gewalt, ohne jede Spur eines Kampfes. Das war der Eindruck, den der Tatort im Augenblick machte. Alles sprach dafür, daß der Mörder ein Mann war, und zwar ein Mann seiner Sorte. Beruflich war es nie seine Aufgabe gewesen, doch wußte er genug über die Methoden der Kollegen, einen Tatort zu untersuchen, um sich in groben Zügen für eine Verbrechensform zu entscheiden.
    Er setzte sich eine Weile in den weißen Ledersessel und betrachtete die Szene, während er sich andere Möglichkeiten als die des irren Sexualmörders durch den Kopf gehen ließ. Dann entschied er sich, ging langsam in die Küche und nahm das Messer, das er auf die Spüle gelegt hatte, hüllte es in paar Blätter Küchenkrepp, nahm es mit in den Flur und steckte es in die Außentasche seines Mantels. Dann zog er ein paar Lederhandschuhe an, die für den schwedischen Winter eigentlich zu dünn, für sein Vorhaben jedoch bestens geeignet waren.
    Langsam, still und systematisch stellte er das Wohnzimmer auf den Kopf. Die beiden Stehlampen legte er hin, als wären sie umgestoßen worden, die eine zertrat er behutsam und die andere ließ er brennend liegen, als wäre sie umgefallen, ohne beschädigt zu werden. Behutsam kippte er einen der Sessel um, zertrat mit dem Fuß einen kleineren Tisch, setzte sich dann in den weißen Ledersessel und betrachtete die Szene erneut. Noch blieb einiges zu tun.
    Er schaute seine Schuhsohlen an. Nein, da war kein Blut, er hatte es sorgfältig vermieden, in den etwa einen Quadratmeter großen Blutfleck zu treten, der jetzt auf dem weißen Teppich einzutrocknen begann. Blieb noch der eigentliche Kampf.
    Er ging wieder in den Flur und zog das Messer aus der Manteltasche. Es war abgewaschen und abgetrocknet, und das Blut, das möglicherweise noch an der Klinge klebte, würde nur unterm Mikroskop zum Vorschein kommen. Von den Tatortspezialisten, die sich bald einfinden würden, würde keiner auf die Idee kommen, in dem neuen Schnitt, den der Mörder zu tun gedachte, nach Blutspuren zu suchen. Der Täter ging ins Wohnzimmer zurück und stellte sich mit dem Rücken vor den umgekippten Sessel. Dann beugte er sich nach hinten, als wollte er zu einem Messerstich ausholen, und hielt mitten in der Bewegung inne, um einen langen Schlitz in das Leder des Sessels zu schneiden. Dann schob er mit dem Fuß den großen pakistanischen Teppich zusammen; nach einigem Experimentieren sah es aus, als hätte sich jemand auf dem Teppich abstützen wollen, um dann in einer hastigen Bewegung auszurutschen. Der Täter kam zu dem Schluß, daß er jetzt mit dem Wohnzimmer und der Küche fertig war.
    Das Schlafzimmer befand sich in perfekter Ordnung, und das sollte auch so bleiben. Er hatte reichlich Zeit, mehr als zehn Stunden, bis er sich wieder zum Dienst einfinden mußte. Durch die Schlafzimmerwand hörte er, wie in der Nachbarwohnung das letzte Fernsehprogramm des Abends lief.
    Er brauchte nicht mehr als eine halbe Stunde, um festzustellen, daß sich im Schlafzimmer nichts von Interesse befand. Blieb noch die unangenehmste Arbeit, das letzte Zimmer der Wohnung, ein kombiniertes Bibliotheks und Arbeitszimmer.
    Eine Längswand war voller Bücher. Die meisten in polnischer oder russischer Sprache, und überdies war es Fachliteratur auf Gebieten, die der Täter kaum beherrschte.
    Die Tote war Elektronikingenieurin gewesen. Sie hatte ihre Ausbildung zunächst an der Universität Krakau und dann als Stipendiatin an der Universität Leningrad erhalten. Diese letzte Angabe hatte sie den Kollegen von der Sicherheitspolizei natürlich verschwiegen, als es um ihre Aufenthaltsgenehmigung für Schweden ging. Das war vermutlich richtig gewesen, denn sonst hätte sie nur schlafende Hunde geweckt.
    Auf dem Schreibtisch lagen einige Arbeitsaufzeichnungen, die sie offenbar von ihrem Job bei Ericsson mit nach Hause genommen hatte. Die Gleichungen und Berechnungen sagten dem Täter nichts. Die Schreibtischschubladen waren abgeschlossen.
    Die Schlösser sahen unkompliziert und nicht sonderlich stabil aus. Dennoch hielt er es für besser, die Schubladen aufzubrechen.
    Er ging in die Küche und holte sich ein Hackmesser. Ein paar Minuten später hatte er die Schubladen aufgebrochen. Er entleerte sie in drei verschiedene Haufen auf dem Teppichboden und warf das Hackmesser daneben.
    Dann sortierte er die Gegenstände. Drei Dinge kamen ihm besonders interessant
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