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All the lonely people

All the lonely people

Titel: All the lonely people
Autoren: Eva Wlodarek
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Allein oder einsam?
    I mmerhin kann niemand von außen beurteilen, ob Sie einsam sind – höchstens, ob Sie im Augenblick
allein
sind. Einsamkeit können wir nur ganz persönlich empfinden. Und ich bin mir sicher: Niemand braucht Ihnen den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit zu erklären. Sie fühlen ihn.
    Dass wir für längere oder kürzere Zeit allein sind, kommt immer mal wieder vor. Etwa wenn Sie sich zurückziehen, um ein Buch zu schreiben, für eine Prüfung zu lernen, ein Projekt vorzubereiten. Wenn Ihr Partner oder Ihre Partnerin für einige Monate im Ausland ist. Wenn Sie auf einer Geschäftsreise alleine ins Restaurant gehen und abends im Hotelzimmer sitzen. Alleinsein bildet einen sichtbaren Kontrast zum Kontakt mit anderen Menschen. Es ist zwar nicht immer angenehm, gibt uns aber die Chance, etwas konzentriert zu schaffen, uns zu erholen, zu besinnen. Sofern wir uns diesen Zustand selbst aussuchen, ist er sogar wohltuend. Karl Lagerfeld beschrieb in einem Fernsehinterview, wie sehr er es genießt, sich am Wochenende in seine vier Wände zurückzuziehen. Dann hört er Musik, liest, zeichnet und denkt nach. In seiner Klausur hebt er nicht mal den Telefonhörer ab.
    Einsamkeit dagegen ist eine völlig andere Empfindung. Am besten lässt sie sich in Bildern beschreiben: Wir fühlen uns wie ein verlassenes Kind. Wir stecken in einem tiefen, schwarzen Loch. Wir sitzen in einem Gefängnis, aus dem es keinen Ausweg gibt. Gleichzeitig denken wir: Keiner liebt mich. Keinem bin ich wirklich wichtig. Nichts macht mir Freude.
    Das ist zunächst einmal unabhängig davon, ob Menschen um uns herum sind oder nicht. Einsamkeit als Grundgefühl kann auch quälen, |15| wenn wir einen Partner, Familie oder einen großen Bekanntenkreis haben. Meist jedoch entsteht Einsamkeit, wenn wir tatsächlich zu wenig Kontakt haben. Besonders schmerzlich empfinden wir sie, sobald wir uns mit anderen vergleichen. Es gibt klassische Situationen, in denen wir besonders deutlich spüren, wie einsam wir sind, etwa an Festtagen wie Weihnachten oder im Sommer, wenn sich alle Welt draußen trifft. Ein Journalist hat in Münchens Englischem Garten junge Männer und Frauen angesprochen, die zwischen lauter Paaren und Grüppchen alleine auf der Wiese lagen. Er wollte von ihnen wissen, wie sie sich gerade fühlen. Martina, eine 25-jährige Studentin, antwortete ganz direkt: »Beschissen. Überall sieht man verliebte Pärchen. Da wird man wahnsinnig neidisch und fühlt sich noch einsamer, als man ohnehin schon ist. Ich wünsche mir auch einen Mann, der mir den Rücken eincremt.« Simon, 28, gab zu: »Ich fühle mich einsam. Alle Leute planschen gemeinsam im Wasser rum und haben Spaß. Nur ich stehe hier allein rum.«

Sich als einsam outen? Niemals!
    W enn es schon so viele einsame Menschen gibt, dann könnten sie doch einfach offen sagen, wie es um sie steht und sich zusammentun, oder? Genau das funktioniert nicht. Niemals hätte ich in meinen einsamen Phasen zugegeben, dass ich einsam bin. Mit erhobenem Haupt bin ich allein ins Museum gegangen und habe mir versichert, dann könne man sich viel besser auf die Kunstwerke konzentrieren. Neugierigen Fragen, was ich denn so am Wochenende mache, bin ich geschickt ausgewichen. Warum dieses Versteckspiel?
    Nüchtern betrachtet haben wir keinen Grund, uns minderwertig zu fühlen. Soziologen bestätigen, dass Einsamkeit typisch für unsere Zeit ist, und belegen das mit Begriffen wie »Single-Gesellschaft« oder »individualisierte Gesellschaft«. Dass wir beruflich mobil sein müssen und die Scheidungsrate steigt, sind nur zwei der immer wieder genannten allgemeinen Ursachen. Psychologen sprechen außerdem von der »narzisstischen Gesellschaft« und verkünden, dass der Trend zum Egotrip allgemein wächst.
    |16| Das klingt alles schön wissenschaftlich und erklärt auch einiges, entlastet uns aber nicht wirklich. Unsere Einsamkeit erscheint uns weiterhin als persönlicher Makel, nach dem Motto: »Wenn du einsam bist, dann muss ja etwas mit dir nicht stimmen. Vielleicht bist du langweilig oder unsozial, nicht bindungsfähig, neurotisch oder einfach nicht attraktiv genug.« Auch wenn wir nicht an unserer Einsamkeit schuld sind und uns niemand Versagen vorwirft, reicht es schon aus, dass wir solche Gedanken bei anderen vermuten. Wir denken ja selbst: Klar, es liegt an uns. Warum sonst schaffen es denn alle anderen, zu zweit zu sein oder gute Freunde zu haben?

Einsamkeit als persönliches
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