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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt
Autoren: Brian Hodge
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R ED B AYOU
     
    Die Barackenstadt tauchte aus der nebelverhangenen Morgendämmerung auf, und ihre armseligen Gebäude erinnerten an Grabsteine, die aus dem morgendlichen Nebel ragen.
    Finch Webster hatte New Orleans mit seinem Chevy um kurz nach drei verlassen; Wochenendangler waren bestens dazu geeignet, unendlich viel Pein zu ertragen. Dorcilus Fonterelle saß auf dem Beifahrersitz, auf dem Rücksitz lagen einige Angelruten und -leinen sowie ein oder zwei Angelkästen.
    »Pass auf, was du hier sagst«, meinte Finch zu Dorcilus. »In dieser Gegend sind sie so rückständig, dass sie die Missionarsstellung für einen neuen Tanz halten.«
    Dorcy lachte nur. Das tat er oft. Er war jetzt seit sechs Jahren in Amerika, nachdem er mit einem überfüllten Boot aus Haiti gekommen war, und er fand noch immer alles äußerst aufregend.
    Bayou Rouge lag in seiner ganzen Pracht brütend, winzig und trotzig vor ihnen. Äußerst südliches Louisiana im sumpfigen Terrebonne Parish. Selbst bei Sonnenaufgang Mitte Juli glich es dort einer Sauna, die Luft zum Schneiden dick und schwer, und über allem hing ein graugrüner Geruch der Verwesung. Bayou Rouge war eine Lichtung, die der Sumpf aufgegeben hatte, und man gelangte nur über eine von Schlaglöchern übersäte und mit Austernschalen bedeckte Straße dorthin, aber es hatte eine eigene Postleitzahl, als wolle es so beweisen, auch im zwanzigsten Jahrhundert angekommen zu sein. Die Bevölkerung bewegte sich im oberen zweistelligen Bereich, dazu kamen noch unzählige Sumpfratten, die tiefer im Bayou lebten, sowie einige Eremiten in Pfahlbauten, die mehr als zwei Menschen pro Quadratmeile schon als Überbevölkerung ansahen. Hier stand die Zeit still, der Traum eines jeden Anthropologen. Finch hätte wetten können, dass wenigstens 95 Prozent dieser Cajun direkt von den ersten Siedlern in dieser Gegend abstammten, die man Ende des 18. Jahrhunderts aus Neuschottland geworfen hatte, weil sie sich weigerten, der britischen Krone die Treue zu schwören.
    Finch sah das Gebäude, das wohl als hiesige Trinkhalle diente, einen baufälligen, windschiefen Holzschuppen, und er bog auf einen wenige Meter entfernten Parkplatz ein. Er schaltete den Motor aus und die Stille war unglaublich. Da war nichts als die monotone Hinterlandlethargie mit ihren Fröschen, Insekten und dem gelegentlich krähenden stolzen Hahn.
    Finch und Dorcilus stiegen aus dem Wagen, und ihre Muskeln schmerzten von zu vielen Meilen auf zu vielen schlaglochübersäten Straßen. Finchs kaputtes Knie, das linke, schmerzte, und er streckte es einige Male, um die Steifheit zu beseitigen. Er musste pissen. Such dir einen Baum aus, irgendeinen. Zypressen und Sumpfeichen herrschten wie gleichmütige Könige über Bayou Rouge und waren in Roben aus Lousianamoos gehüllt.
    Finch bemerkte, dass Dorcilus leicht konsterniert wirkte, als hätten ihn schlechte Erinnerungen wie eine Brise, die nach etwas Fauligem roch, übermannt. »Was ist los?«
    Dorcilus warf einen Blick hinüber zu den Hütten und den kleinen Tieren, die hier und dort umhertrippelten. Hühner, Tauben, alle halb wild. Der Wind drehte sich und trug das angenehmere Aroma von frisch aufgebrühtem Kaffee und gebratenem Speck mit sich.
    »Hier ist es fast wie zu Hause.« Dorcilus hatte seinen Akzent seit der Immigration kaum verloren und sprach noch immer im karibischen Rhythmus. »Fast zu sehr wie zu Hause.«
    Finch erleichterte sich und trat nur noch leicht humpelnd hinter dem Baum hervor. Er zog seinen Reißverschluss hoch, und seine Augen gewöhnten sich langsam an die Düsterheit, die nach dem Ausschalten der Scheinwerfer herrschte. Er bemerkte die verstreuten Schatten. Die, die sich bewegten, trugen Waffen in der Größe von Donnerbüchsen bei sich. Das Begrüßungskomitee. Finch entschied sich, offen und freundlich zu erscheinen, und winkte ihnen zu. Er beugte sich in seinen Wagen und drückte kräftig auf die Hupe. Der Klang waberte über das Sumpfland und war wie ein tiefer Einschnitt in das Gleichgewicht der Natur.
    Die Tür des Pubs wurde aufgerissen und ein Cajun in den Vierzigern kam heraus. Er trug eine ausgeblichene braune Hose, ein weißes Hemd mit Hosenträgern und einen struppigen dunklen Bart. Er runzelte die Stirn, warf dem Wagen einen schmerzverzerrten Blick zu und murmelte rasch etwas auf Französisch. Englisch war hier unten nur die Zweitsprache, und obwohl es die einzige war, die Finch je gesprochen hatte oder zu sprechen gedachte, war ihm die
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