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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation
Autoren: Jan Guillou
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hatte dieses Ereignis, wie es schien, nie überwunden. Immer wieder sprach er von ihren letzten gemeinsamen Augenblicken, erzählte, wie er Monika in die Augen geblickt habe, als das Projektil sie durchschlug, wie er den Schuß sorgfältig gezielt abgegeben habe, um sie nicht zu töten, wie aber diese verfluchte GSG 9 dann… Ja, und so weiter. Der Alte hatte die Geschichte schon hundertmal gehört, jedenfalls kam es ihm so vor.
    Das Problem war für den Alten nicht neu. Zwar war der schwedische Nachrichtendienst in seinem Ehrgeiz recht erfolgreich gewesen, sich von spektakulären Zusammenstößen dieser Art fernzuhalten. Es war zwar zu gelegentlichen Feuergefechten gekommen, doch beschränkten sich die eigenen Verluste auf einen einzigen Mann. Doch mit Personal, das mit streng geheimem Material befaßt war, durfte niemand sprechen. Carl war nicht verheiratet und lebte als Millionär und Geschäftsmann in der EDV- und Immobilienbranche. Da an seiner Professionalität nicht zu zweifeln war - in dieser Hinsicht hegte der Alte keinerlei Verdacht -, sprach er mit keinem Menschen über seine Funktion in der Landesverteidigung oder über seine erschütternden Erfahrungen.
    In einem früheren Fall hatte der Alte den Einsatz eines vertrauenswürdigen Psychiaters empfohlen, da selbst ein medizinischer Laie sich leicht ausrechnen konnte, daß ein innerer Druck dieser Art ungesund war. Ein derart belasteter Mann brauchte einen Menschen, mit dem er sprechen konnte. Überdies wohnte der Alte neuerdings überwiegend unten in Kivik in Schonen, und Carl konnte nicht jederzeit zu ihm kommen, um offen zu reden.
    »Versuch doch mal, die Sache praktisch zu sehen«, hatte der Alte gesagt. »Es geht doch nicht darum, daß du einen Seelenklempner brauchst. Du brauchst einen Menschen, mit dem du reden kannst, jemanden, mit dem du sprechen darfst, das ist alles. Na ja, du brauchst ja nicht unbedingt auf operative und organisatorische Details einzugehen, aber du verstehst doch, was ich meine?«
    Das hatte geholfen. Diese Möglichkeit, sich einmal auszusprechen, eine Art Gesprächstherapie, hatte Carl sicher gutgetan. Sie hatte ihm einigen Druck von der Seele genommen. Im Falle Monikas hatte sie wohl auch die Schuldgefühle verringert und es ihm erleichtert, das schwer erträgliche äußere Bild von sich selbst auszuhalten, das er aus dienstlichen Gründen allen Menschen in seiner Nähe vermitteln mußte: daß er ein Mann war, der zu der Zeit, in der man es zu sein hatte, ein Oberschicht-Radikaler gewesen war, der aber jetzt den Übergang zu Aktien, Immobilien, Steuerplanung und Computern geschafft hatte und sich so kleidete und so wohnte, wie es einem Mann mit derart zeitgemäßen Interessen zusteht. Diese Entwicklung erstaunte jeden ehemaligen Freund, dem er zufällig begegnete, wenn sie ihn nicht anekelte. Für alte Clartéisten und Palästina-Aktivisten mußte all das schwer erträglich sein. Carl vermittelte den Eindruck, daß er jetzt einer anderen Welt angehörte, was ja auch der Fall war.
    Sein Problem jedoch, ein Problem, das größer war als der Tod Monikas, saß noch tiefer. Es gab schwarze Löcher in ihm, die ihn erschreckten, Fallen, denen er mit dem Selbstvertrauen des geschickten Jägers ausweichen zu können glaubte. Er hatte eigentümliche nächtliche Phantasien, die er seinem Psychiater nie verriet; die er mit dem ganzen Geschick seiner Ausbildung verbarg, die ihn darauf getrimmt hatte, nichts von sich preiszugeben, was er nicht preisgeben wollte. Doch da war etwas in ihm, was Alpträume hervorzwingen konnte. Er war einmal sogar in die Nähe des Gedankens geraten, daß eine kleine, ständig wachsende Geschwulst von Irrsinn in ihm wucherte, doch den Gedanken hatte er schnell in das schwarze Loch zurückgeprügelt.
    Er war sich sehr wohl der Tatsache bewußt, daß er ein Mann von ungewöhnlicher Selbstbeherrschung war, und in diese Selbstkontrolle setzte er sein ganzes Zutrauen.
    Jetzt beschäftigte er sich also mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit beim Sicherheitsdienst. Er näherte sich dem Ende seines Arbeitstages, zu dem er seinem nächsthöheren Vorgesetzten seine zusammenfassende Analyse und einen eigenen operativen Vorschlag vorlegen mußte.
    Nachrichtendienstliche Tätigkeit beim Sicherheitsdienst ist als Begriff fast ein Paradox und als Funktion eine Umschreibung dessen, wie ein Nachrichtendienst in den Tätigkeitsbereich des Sicherheitsdienstes eindringt. In diesem Fall jedoch war Carls Tätigkeit nach allen Regeln
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