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Couchgeflüster

Couchgeflüster

Titel: Couchgeflüster
Autoren: Mira Becker
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1
    Durchatmen. Und nicht nervös werden. Es gibt kein Problem.
    Schnaufend liege ich ausgestreckt auf einer rosa Matte und versuche mich zu entspannen. Ach, was soll’s, sage ich mir. Ich werde diesen doofen Brief einfach verdrängen und meine Aufmerksamkeit lieber auf den Unterricht richten.
    «Atem fließen lassen   … Konzentriert euch auf euren Körper   … fühlt die Bewegungen   …»
    Mist.
    Es funktioniert nicht. Ich kriege den Schrieb einfach nicht aus dem Kopf. Dabei muss ich mich zusammenreißen! Sonst gefährde ich meine Existenz.
    Nein! Das darf nicht passieren. Deshalb sollte ich auch Ellen, die Neue in der Gruppe, genau beobachten. Sie hat zwar angegeben, Yogaerfahrung zu haben, aber manche Anfänger behaupten das nur, um nicht korrigiert zu werden. Im Moment sehen ihre fließenden Bewegungen jedoch tatsächlich so aus, als besuche sie heute nicht zum ersten Mal eine Yogastunde.
    «Schulterbrücke   … Beckenboden anspannen   … Atem fließen lassen   … auf eure Mitte konzentrieren   … Ausatmen   … Einatmen», weise ich meine Schülerinnen mit sanfter Stimme an.
    Noch sechs Wochen Zeit. Das sind zweiundvierzig Tage.Eintausendundacht Stunden und   … Die Minuten kann ich nicht im Kopf ausrechnen.
    Praktisch könnten sich aber in jeder dieser Minuten neue Yogaschüler anmelden. Theoretisch wären das dann   … wahrscheinlich viel zu viele. Die hätten gar nicht alle Platz in meinem Trainingsraum. Ich habe ja nur den einen. Und der ist gerade mal fünfzig Quadratmeter groß. Ich müsste Neuanmeldungen auf eine Warteliste setzen.
    Na bitte: alles ganz einfach. Ich muss mich nicht unter Druck setzen. Panik ist unnötig.
    Jetzt aber Konzentration.
    «Knie nach außen sinken lassen   … Tief durchatmen   … Becken zur Decke strecken   … Atem fließen lassen   …»
    Oder ich könnte etwas erben. Allerdings sind Millionäre in meiner Verwandtschaft eine ausgestorbene Spezies. Ob mir jemand die ausstehenden drei Studiomieten leihen würde? Auf die Schnelle fällt mir nur leider niemand ein, der dreitausend Euro übrig hat. Ich könnte natürlich auch bei der Bank nach einem höheren Dispokredit fragen. Nein, meine Beraterin war beim letzten Termin nicht besonders freundlich. Von der kriege ich keinen Cent mehr. Höchstens, wenn ich sie überfalle. Ich musste ziemlich rumheulen, um wenigstens noch die Wohnungsmiete überweisen zu können. Total negativ die Frau. Um die dreißig, ganz hübsch, aber ständig eine hässliche Zornfalte zwischen den Augenbrauen. Nicht ein einziges Mal hat sie mein Lächeln erwidert. Ich war kurz davor, sie zu fragen, ob sie vielleicht auch Geldsorgen hat. Das wäre zwar höchst eigenartig, wo sie doch direkt an der Quelle sitzt, aber immerhin eine plausible Erklärung für ihre miese Laune. Vielleicht hätte ich ihr auch eine Gratisstunde Relaxyoga anbieten sollen,damit sie ihren Kopf von diesen ewigen Summen und Zahlen frei kriegt.
    Mist. Schon wieder abgelenkt.
    «Ausatmen   … Einatmen   … Rückenlage   … Entspannen   … Atem fließen lassen   …»
    Manchmal fällt es mir ziemlich schwer, loszulassen. Einfach mal an gar nichts zu denken. Daran sind meine starken Naturlocken schuld.
Krause Haare, krauses Gehirn
, hat meine Großmutter immer gesagt. Von ihr habe ich auch die rotblonden, wilden Locken geerbt – und die konfusen Gedankengänge. Wie bei ihr schwirrt auch mir immer unglaublich wirres Zeug im Kopf herum. Wie fleißige Ameisen rennen die Gedanken durch meine Gehirnwindungen. Dagegen hilft nur Schlaf. Viel Schlaf. Und natürlich Yoga. Damit kann jeder lernen, sich zu entspannen. Ich hab’s schließlich auch gelernt. Zugegeben, heute klappt es nicht so richtig. Aber es ist ja auch verdammt schwer, wenn man nicht weiß, wie man auf so einen bescheuerten Mahnbrief des Vermieters reagieren soll. Zu dumm, dass ich das Schreiben überhaupt geöffnet habe. Normalerweise landen meine Briefe nämlich im Post-Karton. Erst am Monatsende bearbeite ich dann alles. Damit diese dröge Arbeit nicht allzu frustrierend ist, verkleide ich mich dann immer mit weißer Bluse und einem spießigen Rock und spiele Buchhalterin. Sie heißt: «Miss Zahlmeister», entstammt einem alten Buchhalter-Geschlecht und kümmert sich einmal im Monat um den Papierkram. Total effektive Methode. Kann ich nur wärmstens empfehlen. Wie ich zu meiner Überraschung nämlich festgestellt habe, erledigen sich manche Schreiben sowieso von selbst oder sind schlicht nicht mehr
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