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Fremde Schiffe

Fremde Schiffe

Titel: Fremde Schiffe
Autoren: John Maddox Roberts
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KAPITEL EINS
     
    D er Palast stand wenige hundert Schritte von der Küste entfernt auf einem Hügel und erfreute sich eines wunderbaren Ausblicks über die kleine Bucht und die beiden Landzungen, die sie wie Arme umschlangen. Bunt bemalte Kriegskanus lagen auf dem glitzernden Sandstrand. Krieger lungerten müßig herum. Einige rangen miteinander, andere würfelten und ein paar übten sich im Gebrauch ihrer Waffen. Sie trugen die Kleidung, den Schmuck und die Bemalung vieler verschiedener Stämme, aber alle besaßen die schwarzen Schilde, das Zeichen ihrer Einigkeit.
    Vom Fuße des Hügels bis zu seiner Spitze hinauf stand Reihe um Reihe von Shasinnkriegern Wache. Es waren prachtvolle Gestalten mit bronzener Haut und goldenen Haaren, blauen Augen und so perfektem Wuchs, dass die Künstler vom Festland sie für die einzig wahren Modelle hielten, wenn es darum ging, Götterstatuen zu schaffen. Am unteren Teil des Hangs standen die jungen Krieger zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren. Ihr langes Haar war zu Hunderten winziger Zöpfe geflochten. In der Nähe des Palasts wachten die älteren Krieger: eindrucksvolle Männer, die ihre Narben stolz durch Farbe hervorhoben. Alle Shasinn besaßen lange Speere, die ganz aus Bronze waren. Nur die Spitzen hatten stählerne Ränder.
    Auf der breiten Veranda des aus Baumstämmen errichteten Palastes saß Königin Larissa und grübelte. In der Vergangenheit hatte sie der Anblick ihrer vielen Tausend Krieger mit Stolz und Aufregung erfüllt. Jetzt erfüllte er sie mit düsteren Vorahnungen. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit hatte sie Angst.
    »Zu viele Krieger mit zu wenig Betätigung«, sagte sie zu einem hoch gewachsenen Mann, der neben ihr stand. »Im Augenblick sind sie genauso nutzlos wie Vieh.«
    »Man muss ihnen eine Beschäftigung geben«, antwortete der Krieger.
    »Wenn der König wieder genesen ist, wird er sie zum Festland führen. Dann gewinnen wir unsere verlorenen Gebiete zurück.«
    »Vielleicht wird der König nie mehr gesund«, meinte der Mann mit grimmiger Miene.
    Fauchend wandte sie sich zu ihm um. »Der König wird wieder gesund! Wie kannst du es wagen, etwas anderes zu glauben?«
    »Vergib mir, meine Königin, aber der König und ich wuchsen gemeinsam auf. Für die anderen ist er ein Gott, aber ich weiß, dass er ein Mensch ist. Er ist der größte Krieger aller Zeiten, wurde aber schwer verwundet. Nie zuvor erlebte ich, dass ein Mann mit einer solchen Wunde einen ganzen Sonnenwechsel überlebte.«
    »Aber er hat schon mehr als ein halbes Jahr überlebt! Hat das etwa nichts zu bedeuten? Beweist das nicht, dass er anders als andere Menschen ist?« Trotz ihrer stolzen Haltung lag ein flehender Unterton in Königin Larissas Stimme. Sie brauchte die Bestätigung, dass ihr Leben nicht völlig zerstört war.
    »Niemand zweifelt daran. Auch du bist nicht wie andere Frauen. Aber alle, die ihn als Gott verehrten, sind nun von Zweifeln erfüllt. Hätte ihn ein anderer als König Hael verletzt, hätten ihn vielleicht sogar die Shasinn verlassen.«
    »Hael!«, stieß sie wütend hervor. »Muss uns dieser Mann bis ans Ende unserer Tage plagen?«
    »Auch wenn du ihn noch so sehr hasst, wissen die Männer sehr wohl, dass er kein gewöhnlicher Mensch ist. Die Geister stärken ihn. Das Duell zwischen König Gasam und König Hael war kein Kampf wie jeder andere. Beide Herrscher zogen sich tödliche Wunden zu. Jetzt wissen die Leute nicht, was sie davon halten sollen. Die Insulaner folgen dir ohne Murren, weil du Hael mit eigener Hand niederstrecktest.«
    »Sicher ist er inzwischen gestorben! Ich sah, wie ihn mein Speer traf. Aufgespießt sank er zu Boden! Alle sahen es!«
    »Dein Ruhm wird niemals verblassen, meine Königin. Leider besagt die neueste Botschaft vom Festland, dass ihn die Schluchtler mit Magie am Leben halten.«
    »König Gasam braucht keine Magie. Er lebt dank seiner göttlichen Kraft. Er wird sich erholen, Pendu. Die Wunde wird heilen, und dann ist der König der, der er immer war.«
    Pendu lächelte matt. »Wenn deine Willenskraft ihn dem Tode entreißen könnte, wäre es’ so. Aber darum geht es im Augenblick nicht, meine Königin. Der König ist außerstande, das Kommando zu führen, aber die Shasinn sind dir treu ergeben. Lass mich mit diesen Faulpelzen nach Süden ziehen. Ein paar der Inselstämme nehmen ihre alten Gewohnheiten wieder auf und möchten eigene Häuptlinge wählen. Sie haben vergessen, dass es nur einen König gibt. Man muss ihnen eine
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