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Vor aller Augen

Titel: Vor aller Augen
Autoren: Patterson James
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Prolog
    Die Paten

    Man erzählte von einer völlig unglaublichen Mordgeschichte, durch welche der Wolf Eingang in die Polizeimythen gefunden und die sich schnell von Washington nach New York, London und Moskau ausgebreitet hatte. Niemand wusste mit Sicherheit, ob es tatsächlich der Wolf gewesen war. Doch erfolgte nie ein offizielles Dementi, und die Geschichte fügte sich nahtlos in andere ungeheuerliche Vorkommnisse im Leben dieses russischen Gangsters ein.
    Laut dieser Geschichte hatte sich der Wolf an einem Sonntagabend im Frühsommer Zutritt in das Hochsicherheitsgefängnis in Florence, Colorado, verschafft. Er hatte sich den Zugang erkauft, um drinnen den italienischen Mafioso Don Augustino »Little Gus« Palumbo zu treffen. Vor diesem Besuch stand der Wolf in dem Ruf, impulsiv und zuweilen äußerst ungeduldig zu sein. Doch diese Zusammenkunft mit Little Gus Palumbo hatte er nahezu zwei Jahre lang sorgfältig geplant.
    Er traf sich mit Palumbo im Sicherheitstrakt des Gefängnisses, wo der New Yorker Gangster seit sieben Jahren einsaß. Ziel des Treffens war, ein Arrangement zu erreichen, wonach sich die Palumbo-Familie der Ostküste mit der Russischen Mafia verbünden sollte, um eines der mächtigsten und skrupellosesten Verbrechersyndikate der Welt zu bilden. So etwas war noch nie zuvor versucht worden.

    Palumbo wurde nachgesagt, extrem skeptisch zu sein. Aber er stimmte dem Treffen mit dem Wolf zu, nur um zu sehen, ob der Russe es schaffen würde, in das Gefängnis in Florence hineinzukommen – und auch wieder hinaus.
    Von Anfang an benahm sich der Russe dem sechsundsechzigjährigen Don gegenüber äußerst respektvoll. Er neigte den Kopf, als sie sich die Hände schüttelten, und machte einen beinahe schüchternen Eindruck – ganz im Gegensatz zu seinem Ruf.
    Â»Jeglicher Körperkontakt ist strikt verboten«, sagte der Captain der Wachen durch die Sprechanlage. Er hieß Larry Ladove und er hatte 75 000 Dollar kassiert, um das Treffen zu ermöglichen.
    Der Wolf ignorierte Captain Ladove. »In Anbetracht der Umstände sehen Sie recht gut aus«, sagte er zu Little Gus. »Sogar sehr gut.«
    Der Italiener lächelte verkniffen. Er war klein, aber sein Körper war hart und muskulös. »Ich mache dreimal täglich Gymnastik – jeden Tag. Außerdem trinke ich fast nie Alkohol – allerdings nicht ganz freiwillig. Ich ernähre mich gesund, ebenfalls nicht ganz freiwillig.«
    Der Wolf lächelte und sagte: »Das klingt ja, als rechneten Sie damit, nicht die gesamte Strafe abzusitzen.«
    Palumbo lachte kurz und trocken. »Darauf können Sie einen lassen. Dreimal lebenslänglich gleichzeitig? Aber ich bin von Natur aus diszipliniert. Die Zukunft? Wer weiß schon genau, wie sich die Dinge entwickeln?«
    Â»Ja, wer weiß das schon. Ich bin mal aus einem Gulag unterhalb des Polarkreises geflohen. In Moskau habe ich einem Bullen erklärt: ›Ich war in einem Gulag, glaubst du, dass du mir Angst einjagen kannst?‹ Womit beschäftigen Sie sich ansonsten hier drinnen? Abgesehen von körperlicher Ertüchtigung und gesundem Essen?«

    Â»Ich versuche mich um meine Geschäfte in New York zu kümmern. Manchmal spiele ich mit einem kranken Irren Schach. Er war früher beim FBI.«
    Â»Kyle Craig«, sagte der Wolf. »Halten Sie ihn für so verrückt, wie man behauptet?«
    Â»Ja, absolut. Aber jetzt erklären Sie mir mal, pakhan mein Freund, wie kann diese Allianz, die Sie vorschlagen, funktionieren? Ich bin ein disziplinierter Mensch und pflege alles sorgfältig zu planen – auch hier, trotz der gegenwärtig erniedrigenden Umstände. Soweit ich gehört habe, sind Sie ein Hitzkopf. Den Finger schnell am Abzug. Ein ›Macher‹. Sie kümmern sich selbst um die kleinsten Operationen. Schutzgeld, Prostitution. Gestohlene Autos ? Wie kann das mit uns beiden funktionieren?«
    Der Wolf lächelte und schüttelte dann den Kopf. »Ich habe den Finger schnell am Abzug, aber ich bin kein Hitzkopf. Und schon gar nicht, wenn’s um viel Geld geht. Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten, das niemand sonst kennt. Es wird Sie überraschen und vielleicht meinen Standpunkt untermauern.«
    Der Wolf beugte sich vor. Er flüsterte dem Italiener sein Geheimnis ins Ohr. Dessen Augen weiteten sich vor Furcht. Mit verblüffender Schnelligkeit packte der Wolf den
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