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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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griechischen Änderungsschneiderei am Ende der Elbchaussee, nur nicht ganz so laut. Währenddessen gucken wir durch ein großes Loch in der Hecke.
    Wir sind richtig neugierig, was nebenan abgeht. Eine aufgeregte Frau lässt Unmengen von Kartons auf dem kurz geschorenen Rasen im Garten auftürmen. Fast überall steht mit fetten Filzstiftbuchstaben KÜCHE drauf. Sie sieht nicht sehr glücklich aus. Ein Mann schreit irgendwo aus vollem Hals mit den Möbelpackern herum, vielleicht vorne auf der Straße. So eine Lautstärke kenne ich von Opa, aber seine Stimme klingt ganz anders. Die Frau stöhnt immerzu: »Mein Gott, ist das heiß, dieser Umzug bringt mich noch um.«
    »Lass Gott ruhig im Himmel und sterben kannst du immer noch«, schnauzt der Mann mit hochrotem Kopf. Er steht vor der Küchentür. »Pack lieber aus!«
    »Was ist denn das für’n Knallkopf?«, flüstert Eddie.
    »Ist doch klar«, sage ich. »Vielleicht hat der einen Hitzeschlag und hat’s noch nicht geschnallt. Auf jeden Fall hat der ’ne Krise.«
    Dann sehen wir sie plötzlich: zwei Kinder in unserem Alter. Nur bei denen ist es umgekehrt wie bei uns: Der Junge ist älter als das Mädchen. Sie haben sich vor dem großen Spionierloch aufgebaut, das Eddie und ich mühsam mit der großen Gartenschere in die Hecke geschnitten haben. Sie stehen auf der anderen Seite der Büsche und starren uns an. Ich habe gerade die rote Nase auf, weil ich Eddie einen neuen Kartentrick vorführen wollte.
    »Zieht ihr auch ein oder nur die Kartons?«, fragt Eddie freundlich.
    Die beiden Kinder antworten nicht. Sie glotzen vor allem mich wie ein Auto an.
    »Ist was?«, will ich wissen.
    »Warum hast du die rote Nase da im Gesicht?«, fragt der Junge und sieht mich finster an.
    »Die ist festgewachsen«, behaupte ich ganz ernsthaft.
    »Glaube ich nicht«, nuschelt das Mädchen und steckt sich einen Finger ins linke Nasenloch.
    »Wenn du oben im Gehirn angekommen bist, kannste uns eine Postkarte schicken«, schlage ich ihr vor.
    »Bäääh«, antwortet sie und streckt mir die Zunge raus.
    »Passt aber gar nicht zu deinem schicken rosa Ballett-Outfit: Nasebohren und Zunge raushängen lassen«, sage ich betont langsam und streichle Katze Esmeralda, die schnurrend auf meinem Schoß liegt.
    »Ihr könnt uns mal …«, giftet der Junge hochnäsig zurück. Er hat eine Antennenfrisur mit einer Menge Gel drin und trägt Hip-Hop-Hosen, bei denen ihm der Hosenboden fast zwischen den Füßen hängt. Die Marke von seinem T-Shirt kann man auf hundert Meter Abstand auch ohne Fernglas erkennen.
    »Lässt du dir die Werbung auf deinen Klamotten jeden Monat auf dein Konto überweisen oder machst du das kostenlos?«, frage ich, als würde es mich interessieren. Aber ehe er antworten kann, schiebe ich noch schnell »Viel Spaß beim Auspacken mit deinem Papa« hinterher.
    Mit dem Jungen habe ich es mir gerade bestimmt bis in alle Ewigkeit versaut. Ist mir egal. Auf den fliege ich ohnehin nicht. Er schnauft vor Wut wie ein Nilpferd, das für Sekunden die Nasenlöcher aus dem Wasser steckt, sagt aber nichts, dreht sich um und zieht mit erhobenem Kopf ab. Seine immer noch in der Nase bohrende kleine Schwester zieht er hinter sich her. Ihre goldenen Ringellöckchen wippen beim rasanten Abgang von der Heckenbühne auf und ab. Sie erinnert mich an die Barbiepuppen im Schaufenster vom Spielzeugladen.
    »Die haben uns als Nachbarn noch echt gefehlt«, sage ich und muss ganz tief seufzen. So richtig glücklich wie vorhin bin ich nicht mehr.

    Das alte, riesige Haus hatte lange leer gestanden. Eddie und ich sind oft durch das große Loch in den damals noch verwilderten Garten geschlichen und durch das offene Kellerfenster eingestiegen. Dort habe ich in fast allen Räumen für Eddie Theater gespielt, Tricks geübt und Spiele für uns erfunden. Ich habe versucht dünne Tücher im Ärmel verschwinden zu lassen und volle Schnapsgläser unter einem schwarzen Hut leer zu zaubern. Oder einen Regenschirm geöffnet zu zeigen, ihn zu schließen, danach wieder zu öffnen, und dann sollte es Konfetti regnen. Gar nicht so einfach. Mir misslingt ständig ein Zaubertrick und dann verliere ich ziemlich schnell die Geduld.
    Eddie ist viel geduldiger als ich, er schläft höchstens mal ein, wenn’s ihm langweilig wird. Wir haben die Zimmer gezählt, es sind genau sechzehn. Manche Räume sind bestimmt größer als unser ganzes Haus.
    In den letzten Tagen wurde der Rasen wie mit der Nagelschere gekürzt und die Blumenbeete
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