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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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mit dem Lineal bearbeitet. »Akkurat«, hat Opa gemeint. »Einfallslos«, hat Oma gesagt. »Langweilig«, fanden Mama, Papa, Eddie und ich die Blumen, die wie Soldaten aufgereiht hinter- und nebeneinander stehen. Arme Blumen. Die dürfen bestimmt nicht so wachsen, wie sie möchten. Vorher werden sie garantiert gekürzt. Da darf keiner aus der Reihe tanzen.
    In Blankenese gibt es kleine und große Häuser bunt durcheinander gewürfelt. Dort wohnen reiche und weniger reiche Leute. Das ist schon so seit dem 18. Jahrhundert. Ganz zu Anfang war es nur ein kleines Fischerdorf. Ich glaube, das war im Jahr 1650 oder noch früher. Opa hat mir erzählt, Blanke kommt von dem hellen Sand an der Elbe und Nese aus dem Französischen: le nez , die Nase. Es gibt eine alte Landkarte, auf der das geschrieben steht. Die Nase wurde später von einer großen Sturmflut weggespült, aber der Ort heißt immer noch so. Opa weiß eine Menge über Blankenese, von den Leuten und den Häusern hier.

Drei
    »Vielleicht sind die Neuen gar nicht so schlimm wie sie aussehen«, meint Eddie, nett wie er meistens ist. »Die haben bestimmt Stress mit den Eltern.« Erstaunt sehe ich Eddie an. Andere Kinder in seinem Alter sagen, glaube ich, solche klugen Sachen noch nicht. Eddie spricht nicht sehr viel, aber wenn er etwas von sich gibt, wie das gerade eben, dann bewundere ich ihn. Vielleicht wird Eddie mal ein ganz gelehrter Mann, so wie Albert Einstein, über den wir gerade in der Schule sprechen. Eddie weiß genau, was Stress ist. Das Wort benutzen Mama und Papa ab und zu, wenn sie aus dem Kinderkrankenhaus kommen.
    Sie lassen sich dann auf die Matratze mit der allerbuntesten Decke fallen. Die haben sie, ehe wir auf der Welt waren, von einer Indienreise mitgebracht. »Die Decke macht gute Laune, sie erinnert uns daran, wie schön unsere Reise war. Auf dieser Decke haben wir uns am Strand in Goa geliebt, nachts unter dem Vollmond und den Millionen Sternen. Nach neun Monaten wurdest du geboren und deshalb heißt du auch Isha, die Göttin.« Eine Göttin mit roten Haaren, die in der Schule Ampel , Leuchtturm und Rotkäppchen und Pappel genannt wird. Das ärgert mich nicht. Ich finde mich gut, so wie Mama und Papa mich unter dem Vollmond in Indien gemacht haben.
    Wenn Mama und Papa aus dem Krankenhaus kommen und sich ins Zimmer mit der farbigen Indiendecke zurückziehen, geben Eddie und ich uns viel Mühe, richtig nett zu sein. Wir halten uns alle vier in den Armen, während Mama und Papa abwechselnd von den schwerkranken Kindern erzählen, die sie in ihren Zimmern besucht haben. Und wie sie mit ihnen gespielt und versucht haben, sie und die Eltern aufzumuntern und zum Lachen zu bringen.
    Manchmal ist in der Zwischenzeit auch ein Kind gestorben, das beim letzten Mal noch mit Clown Mamamoma und Clown Papapipo lachen konnte. Dann kommen sie still und traurig nach Hause und drücken uns, nehmen uns fest in die Arme, auf der indischen Decke, ganz, ganz lange.
    Meine Eltern haben sich immer Kinder gewünscht, die natürlich auch Clowns werden sollen.
    Gleich nachdem ich auf die Welt gekommen war, hat Papa mir eine rote Nase geschenkt. Es gefiel ihm sehr, dass ich schon rote Haare und eine Menge Sommersprossen hatte. »Das passt gut zusammen«, hat er gesagt und wollte mir den roten Knubbel sofort als Geburtsgeschenk aufsetzen.
    »Die Schwestern im Krankenhaus haben aber heftig protestiert«, erzählt Mama oft, weil ich die Geschichte immer wieder hören will. »Ihr Baby erstickt mit dem Ding da!«, schrien sie entsetzt. Trotzdem haben sie die ganze Zeit über Papa mit seiner roten Nase gekichert. Der Arzt fand das nicht so komisch. Aber er sagte nichts. Er hatte Mitleid mit Papa. Er war felsenfest überzeugt, mein Vater sei vor Aufregung durchgedreht und völlig neben der Tasse. Mama bekam schließlich ihr erstes Baby. Es ist dem Doktor sicher nicht leicht gefallen, Papa nicht aus dem Geburtszimmer rauszuschmeißen. Wenn der Arzt und die Schwestern müde wurden vom ständigen Anfeuern meiner Mama beim Pressen, spielte Papa den Clown.
    »Eine ungewöhnliche Geburtsbegleitung«, hat der Arzt gemurmelt. Wenn Papa nicht so herrlich gehampelt hätte, wäre ich garantiert noch länger in Mamas Bauch geblieben. Aber plötzlich bekam Mamamoma einen Lachanfall, weil Papapipo um ihr Bett hüpfte, auf dem Schifferklavier spielte und sang:
    ›O mein Papa, war eine wunderbare Clown,
    O mein Papa, war eine große Kienstler …‹
    Da bin ich wupps aus Mamas Bauch
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