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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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direkt vor ihr auf dem Boden und beobachte sie genau.
    Ich öffne den Koffer und fange an, mich so zu schminken, wie Mama es immer bei sich macht. Ich halte den kleinen Handspiegel vor mein Gesicht, male mich weiß an, dann einen großen, roten Kussmund, eine Träne unter das linke Auge und auf die rechte Wange eine kleine Blume. Ich stehe auf, ziehe den Doktor-Clown-Kittel an, setze meine rote Nase auf und nehme aus dem Koffer ein Papphandy. Das stecke ich in die Kitteltasche.
    »Heute ist ein ganz besonderer Tag. Heute wird telefoniert! Der Anschluss ist unter den Sternen.«
    Ich klappe den Koffer zu, lege ihn auf Frau Schröders Schoß und klemme ihre linke, gesunde Hand um den Griff. Der Koffer ist nicht schwer.
    »Liebe Passagiere, bitte stellen Sie die Sitze gerade und klappen Sie die Tische hoch. Wir machen jetzt eine kleine Reise.«
    Ich fühle noch einmal nach, ob sie den Koffer hält. Tatsächlich, ihre dünnen Finger sind fest um den Griff geklammert! Vor Freude macht mein Herz kleine Hüpfer. Ich hänge mir den Rucksack um und fahre den Rollstuhl mit Schwung zur Zimmertür.
    »Es geht los. Wir steigen auf!«
    Ich schiebe Frau Schröder in den Lift und wir gleiten in den 13. Stock, direkt ins Restaurant unter der großen Glaskuppel. Ich habe mich vorher genau erkundigt.
    Heute Abend ist geschlossen und niemand da. Es ist fast dunkel. Durch das grelle Licht im Hafen und den bunten Abendhimmel kann ich Tische und Stühle noch gut erkennen. Ich nehme Elschen den Koffer aus der Hand und lege ihn mit dem Rucksack auf einen der Tische.
    Ihre linke Hand führe ich zur Lehne vom Rollstuhl. Ich sehe, wie sie von allein die Finger um die Lehne legt.
    »Wir starten, bitte anschnallen!« Langsam, dann immer schneller, schiebe ich den Rollstuhl mit einer Hand unter dem hohen Glasdach im Kreis herum, halte das Handy ans Ohr und verkünde: »Wir befinden uns auf der Erdumlaufbahn und auf dem direkten Weg zur intergalaktischen Telefonzentrale in der Milchstraße. Hoffentlich klappt die Verbindung. Hallo, hallo, hier spricht die Erde. Ist da jemand? Hören Sie was, Frau Schröder?« Ich halte ihr den Hörer ans Ohr. »Hören Sie auch nur das Weltraumrauschen? Gut, dann nehmen wir mal die andere Richtung.«
    Wir drehen auf der Stelle um. »So, jetzt versuchen wir die Ost-West-Achse. Aufgepasst. Hallo, könnte ich bitte Tommy sprechen? Wie bitte? Müssen Sie ihn suchen? Macht nichts, wir können warten. Aber es ist wichtig. Mit wem hab ich gesprochen? Mit der Azubi-Abteilung? In Ordnung.« Ich lege Frau Schröder beruhigend die Hand auf die Schulter, schiebe sie in Richtung Sonne, die in wenigen Minuten verschwunden sein wird.

    »Frau Else, ich glaube, ich habe ihn. Tommy? Bist du es wirklich?«
    Ich kann mich genau an Tommys zarte Stimme erinnern und versuche sie nachzumachen.
    »Hallo, Isha, das ist ja eine Überraschung! Was kann ich für dich tun?«
    »Wie geht’s dir denn Tommy? Hast du dich schon in deiner Abteilung eingearbeitet?«
    »Ich arbeite im Rennstall am Sternenhimmel. Der gehört dem weißen Pferd mit den goldenen Flügeln. Es heißt Pegasus. Im Oktober müssen Pegasus und ich den Sternenhimmel über der Erde beleuchten.«
    »Ist ja irre. Gibt’s echt Pferde bei euch da oben?«
    »Hier gibt’s alles.«
    »Und wie ist es mit dem Fliegen? Klappt das?«
    »Na ja, Pegasus hat zum Glück Flügel. Sagte ich ja schon. Ich lerne eine Menge vom ihm, aber wenn er galoppiert, falle ich manchmal runter und stürze ab.«
    »Tut das weh?«
    »Nee, natürlich nicht, aber es ist einfach doof, weil die anderen lachen.«
    »Du, hör mal, ich rufe an wegen einer Bekannten, die möchte ohne Beulen in den Himmel fliegen. Was rätst du ihr?«
    »Üben, üben, üben, und zwar auf der Erde. Nicht erst hier. Das geht in die Hose.«
    »Du, Tommy, ich muss auflegen. Nach oben zu euch gibt es leider keinen Billig-Tarif. Ich melde mich wieder. Und fall bloß nicht mehr vom Pegasus-Pferd. Mach’s gut, du!«
    »Mache ich, ich gebe mir Mühe! Tschüss!«
    »Weg ist er, Frau Else. Haben Sie alles mitgekriegt?«
    Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich habe das Gefühl, sie lächelt. Zwar etwas schief, aber immerhin.
    »Na, das war doch schon mal gut. Und nun die Überraschung.«
    Und schon halte ich eine Zigarre in der linken und eine Sherryflasche in der rechten Hand.
    Ich zünde die Zigarre an und huste mir fast die Seele aus dem Leib.
    Ich schenke den Sherry in ein mitgebrachtes Glas aus ihrer Wohnung und halte es ein wenig
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