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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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fragt Jonathan. Was soll denn das jetzt? Was soll ich denn darauf antworten? Eigentlich bin ich noch bei den Clowns. Na gut:
    »Beschissen, nein. Du ziehst einfach an, was dir gefällt. Fertig. Ich auch. Thema durch, okay?«
    »Für mich nicht. Und du? Du siehst aus wie eine alte Trutsche. So!«
    »Kinder, jetzt reicht’s aber. Hol mal das Monopoly-Spiel, Isha.«

Dreizehn
    Jonathan hat endlich keinen Hausarrest mehr und wir treffen uns oft in meinem zweiten Zuhause, bei Elsebill Schröder. Ab und zu nimmt er sich ein Buch von ihr oder mir mit nach Hause. Ob er es liest, weiß ich nicht. Ich frage nicht nach.
    Wir sitzen wieder unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse und warten darauf, dass Prinzessin Else vom Frisör nach Hause kommt. Sie hat uns vorhin allein gelassen mit den Worten: »Nehmt euch eine Zigarre und ein Gläschen Sherry. Bis später, in etwa einer Stunde!« Sie winkte und weg war sie.
    »Du, mein Alter wird allmählich wieder einigermaßen normal. Ich hab mein Handy wieder, mit einer Minikarte drin, für Notfälle.«
    Ich habe Jonathan nie gesagt, warum ich an dem Abend so hemmungslos lachen musste, als sein Vater in meiner Fantasie wie ein blinkender Flipperkasten in der Hecke stand. Vielleicht erzähle ich es ihm irgendwann. »Weißt du, wie spät es ist?«, frage ich Jonathan. Ich habe meine Uhr vergessen.
    »Halb fünf.«
    »Wie bitte?«
    Da stimmt etwas nicht. Frau Schröder kommt immer nach einer Stunde wieder vom Frisör zurück. Wenn nicht, dann ruft sie an.
    »Ich frage mal beim Frisör nach.« Auf der Liste neben dem Telefon finde ich die Nummer. Meine Hände zittern, als ich die Nummer eintippe. Ich weiß auch nicht, plötzlich bin ich aufgeregt und verwähle mich. Dann endlich kriege ich folgende Auskunft:
    »Frau Schröder ist schon vor einer guten Stunde mit dem Taxi nach Hause gefahren.« Mit flatternden Fingern lege ich den Hörer auf.
    »Jonathan, komm schnell!«, rufe ich in seine Richtung. Ich stolpere über die dicken Teppiche im Flur zur Wohnungstür.
    »Lieber Gott, bitte nicht«, flüstere ich beschwörend, als ich die Wohnungstür aufreiße.
    Aber der liebe Gott lässt mich im Stich. Auf den unteren Steinstufen der Treppe liegt meine liebste, alte Freundin. Der Schlüsselbund ist ihr aus der Hand gerutscht, Tomaten und ein Stück Käse sind aus einer kleinen Einkaufstasche fast bis vor die Haustür gerollt.
    »Frau Schröder …«, schreie ich verzweifelt, und meine Stimme hallt gespenstisch zurück von den kalten Glasbausteinen, glatten Steinstufen und kühlen Betonwänden im ungemütlichen Treppenhaus.
    Ich knie mich hin, fasse ihren Puls an, fühle nach und lege mein Ohr auf ihr Herz. Sie lebt … sie lebt! Jetzt ist der Gott wieder da, aber nur ein bisschen.
    »Jonathan!« Er steht schon neben mir, holt sein Handy aus der Tasche und ruft einen Rettungswagen mit Notarzt. Er zieht seine Jeansjacke aus und legt sie vorsichtig über Frau Schröder.
    Ich habe mich neben sie gesetzt. Sie liegt still und blass mit geschlossenen Augen auf der Seite, ein wenig gekrümmt. Ich streichle ihre Hände mit den tausend braunen Flecken. Sie sind eiskalt. Wie lange liegt sie hier schon so? Wo sind die anderen Nachbarn? Warum haben wir nichts gehört? Vielleicht rief sie nach uns? Jonathan kommt mit einer Wolldecke und wir versuchen beide, Frau Schröder vorsichtig bis unters Gesicht zuzudecken. Ich weiß nicht, ob wir etwas an ihrer Lage verändern dürfen. Aber sie atmet. Sie atmet so leise, dass ich mir Mühe geben muss, die Atemzüge zu hören. Jonathan steht in der geöffneten Haustür und ich höre das Martinshorn. Elsie, du Liebe, du darfst nicht sterben! Nicht schon wieder jemand, der sterben muss. Hört denn das nie auf?
    »Bitte, hierher«, höre ich Jonathan sagen. Ich halte Frau Schröders Hand und flüstere: »Gehen Sie noch nicht weg. Wir brauchen Sie doch, wir alle. Wir haben Sie so lieb. Bitte, bleiben Sie bei uns.«
    Ein Arzt untersucht Frau Schröder. Er stellt keine Fragen. Jonathan hat ihm vielleicht erzählt, dass wir sie gerade erst so gefunden haben.
    Als Frau Schröder auf die Trage gelegt wird, glaube ich, dass sie noch zarter und kleiner als sonst aussieht. Genauso zart wie Tommy. Ihre Augen sind geschlossen und sie ist ganz still. Ich fange an zu heulen. Jonathan nimmt mich an die Hand und wir gehen zusammen neben der Trage her zum Rettungswagen. Der Arzt stellt jetzt doch einige Fragen. Jonathan antwortet. Ich kann kaum noch etwas sehen und verstehen, weil meine
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