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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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Esstisch und Stühle, Bücherregale, Matratzen, Kissen, Decken, Kostüme und Anziehsachen von einem Ort zum anderen transportieren. Aber zum Glück haben wir gar nicht vor umzuziehen, sagen Mama und Papa.
    Denn wir lieben das altersschiefe, weiß gestrichene Haus mit dem Reetdach, den Butzenscheiben und knallroten Fensterrahmen, die so rot wie unsere Clownsnasen sind. Die Haustür und die Fensterläden sind dunkelblau gestrichen und auf den Fensterbänken wachsen im Sommer Kirschtomaten und jede Menge Kräuter. Uns gefällt es in unserer Villa Kunterbunt. Auch ohne den Affen Herrn Nilsson und das getupfte Pferd auf der Veranda, so wie bei Pippi Langstrumpf. Und auch ohne Computer, Fernseher und Auto. Im Winter, wenn das ganze Laub von den Bäumen und Büschen gefallen ist, können wir sogar die Elbe sehen, den großen Fluss, auf dem die dicken Eimer , wie Opa die riesigen Containerschiffe nennt, aus allen Ländern der Welt in den Hamburger Hafen rein- und wieder rausfahren.
    Die Straßen in unserem Stadtviertel, das Blankenese heißt, sind kurvig und schmal. Blankenese liegt an einem Steilhang. Überall gibt es zwischen den Häusern Treppen und Treppchen, auf denen Eddie und ich rauf- und runterhopsen.
    Papa hat das Häuschen von seinen Eltern geschenkt bekommen. Opa hat es wiederum von seinen Eltern geerbt. Und davor …? Das weiß ich nicht so genau.
    Ganz früher war Opa Bootsbauer und danach Elbfischer. Er hat vor allem den kleinen, leckeren Stint gefangen. Oma blieb zu Hause und hat auf Opa gewartet, um ihn zu verwöhnen, zu betüddeln , wie sie sagt. Sie betüddelt Opa immer noch. Jetzt wohnen Oma und Opa in einer Wohnung für alte Menschen am Blankeneser Marktplatz, fast direkt neben der Kirche.
    »Ich muss ab und zu deutlich mit Dem Da Oben sprechen«, sagt Opa immer mit feierlicher, lauter Stimme und zeigt dann beschwörend in Richtung Himmel, »damit Der Da Oben für Oma und mich zwei hübsche Plätze freihält. Aber diesen Klönschnack mache ich besser in der Kirche gleich nebenan, denn sonst werde ich noch in die Klapsmühle gesteckt, wenn ich auf der Straße so laut mit Dem Da Oben rede.« Opa weiß genau, er redet sehr laut. Weil er nicht mehr gut hört. Vor allem, wenn er seine Hörknöpfe in den Ohren mal wieder nicht eingeschaltet hat.
    Es kümmert Opa überhaupt nicht, dass er fast schreit, wenn er sich unterhält. Er strengt sich auch gar nicht an, leiser zu reden. »Hab mich schon genug angestrengt im Leben«, brummelt er, wenn jemand ihn bittet, seine Stimmgewalt ein wenig zu drosseln. Meinen Opa versteht man noch drei Straßen weiter mühelos. Macht nichts. Ich hab ihn lieb, so wie er ist. Und unsere wuselige Oma auch.
    Oma und Opa passen auf Eddie und mich auf, wenn Mama und Papa länger arbeiten müssen. Aber sie kommen auch oft einfach nur so zu Besuch.
    Dann gibt es noch Frau Schröder.
    Sie wohnt ein paar Straßen von uns entfernt. Sie ist schon viele Sonnen und Monde alt. Sie ist so alt, dass ihr Gesicht aussieht wie ein kleines, bleiverglastes Fenster in einer verwitterten Kirche. So eine Kirche haben wir mal auf einem Ausflug in Mecklenburg-Vorpommern gesehen. Frau Schröder hat schneeweiße, glatte Haare und trägt immer Perlen in den Ohren und eine Perlenkette um den Hals. Sie sagt oft zu Mama und Papa: »Fabelhaft, fabelhaft, wie Sie Ihre Kinder erziehen.«
    Als sie beim Einparken in unserer kleinen Einkaufsstraße an einem Verkehrsschild dicke Beulen in ihr Auto fuhr, stürzten sofort Leute aus den Geschäften. Alle lästerten über die Alte, dass sie besser ihren Führerschein abgeben sollte und so. Niemand half ihr. Sie guckten nur. Papa war zufällig in der Nähe. Er ist sofort zu ihr gegangen, weil sie so hilflos dastand.
    »Sie Guter«, sagte sie später zu Papa, als er den Abschleppdienst gerufen hatte. Papa hat sie nach Hause gebracht und ihre Einkaufstaschen getragen. Seitdem sind wir mit Frau Schröder befreundet. Vor allem ich.
    Unsere Teestunden auf ihrer Terrasse mit Schokokeksen sind mir heilig. Ihr auch. Frau Schröder ist mein zweites Zuhause.
    Halt, jetzt hab ich doch fast Tante Antje vergessen, die gehört gewissermaßen auch zu unserer Familie. Tante Antje, so haben wir den Bakfiets getauft.
    Mein Vater hat den Bakfiets von einem frisch gebackenen Kinderarzt aus Amsterdam in den Niederlanden gekauft, als Mama und er in der Uni dort mit ihrer Clownshow aufgetreten sind. Es war das Abschiedsfest der Studenten, ein warmer Sommerabend. Einer von ihnen, eben der mit dem
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