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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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Bakfiets, hatte einen kleinen Bericht über Mama und Papa im Fernsehen gesehen und sie spontan zu dieser Abschlussfeier eingeladen. Ja, mein Vater war mal mit Mama im Fernsehen! Der ehemalige Medizinstudent wollte nach der Feier seinen Bakfiets loswerden, weil der ihm in Amsterdam schon zweimal geklaut worden war.
    »Vielleicht klauen die in Deutschland keine Bakfietsen«, hatte er gemeint. »Bei euch fährt doch ohnehin kaum einer Rad, sondern fast alle mit dem Auto. Ich will jetzt auch ein Auto haben. Schluss. Punkt. Wir sehen uns bestimmt wieder, wenn ich einen Job im Kinderkrankenhaus bekomme. Tschüss, ihr Clowns, tschüss, du Bakfiets!«
    Tante Antje wohnt jetzt in unserem Garten, genau wie wir, unter einem Strohdach. Das Dach hat Papa mit einem Schulfreund selbst geflochten aus Reet. Diese Art von großem Schilf wächst an manchen Stellen am Ufer der Elbe und an den Seen in Schleswig-Holstein. Es regnet kaum durch auf unser Riesendreirad. Und wenn doch, dann spanne ich den Sonnenschirm auf. Ich mache auf der Ladefläche gern Schularbeiten oder spiele dort mit Katze Esmeralda und meinem Bruder Eddie.
    Wir nehmen Tante Antje auch mit zu großen Einkäufen, denn auf ihre Ladefläche passt eine Menge drauf: Mama, Eddie, die vollen Einkaufstaschen und ich. Papa tritt wie blöd in die Pedale und setzt sich dabei immer die rote Clownsnase auf, und zwar oben auf den Kopf!
    »Das ist jetzt meine Chauffeursmütze«, sagt er und strahlt.
    Ich stülpe die rote Nase oft über meine Stupsnase. Ich finde mich richtig toll damit. Am liebsten würde ich diese kleine Gummikugel immer tragen. Ich übe damit Fratzen zu schneiden und gucke, was die Leute sagen. Ich versuche sie zum Lachen zu bringen. Eddie hat auch eine, aber die trägt er meistens oben auf dem Kopf, wie Papa beim Dreiradfahren.
    Mama setzt sich ihre Nase nur bei der Arbeit auf. Sie kontrolliert immer meine Schultasche und wühlt nach meiner Nase. In der Schule soll ich nicht den Clown spielen.
    »Beruf ist Beruf und Schnaps ist Schnaps«, nennt Opa diese Kontrollen.
    Es stört uns überhaupt nicht, dass die Leute uns angaffen, wenn wir mit Tante Antje unterwegs sind. Papa und Eddie mit der roten Nase auf dem Kopf, ich im Gesicht und bei Mama überlegen sie, wo sie das Ding wohl versteckt hat.
    Einige lachen, andere reißen vor Staunen den Mund auf. Dann gibt es welche, die rufen wie beim Karnevalsumzug: »Kölle alaaf!« In Hamburg wissen viele vielleicht gar nicht, dass man rote Nasen nicht nur zum Karneval aufsetzt.
    Zum Beispiel im Kinderkrankenhaus.
    Denn dort arbeiten meine Eltern. Seit meiner Geburt. Auch mit krebskranken Kindern.

Zwei
    Es ist Samstag, es ist heiß und leider haben wir noch keine Sommerferien. Aber wenigstens ist Wochenende. Und nebenan ist der Teufel los. Es ziehen neue Nachbarn ein.
    Vor dem Eingangstor der Villa, in die unsere Fischerkate mindestens fünfmal reinpasst, steht ein sagenhafter Monster-Umzugslaster mit Anhänger. Auf dem Bürgersteig und im Garten stapeln sich ungefähr zweihundert Stühle, Tische, bombastische Schränke und vor allem Berge von Kartons, große, kleine, mittelgroße und gigantisch große.
    »Ganz schön anstrengend, mindestens tausend Kartons auszupacken. Hätte ich keine Lust zu, du?«, frage ich meinen Bruder Eddie.
    »Nee«, sagt Eddie, »ich packe lieber die Sachen aus Mamas und Papas Schatzkisten aus.«
    Das dürfen wir eigentlich nicht, aber wir tun es trotzdem, wenn sie nicht da sind. Heute sind sie leider da. Wir hätten gern in ihren Truhen mit den geheimnisvollen Überraschungssachen für kranke Kinder gewühlt und damit gespielt. Aber in einem unserer Zimmer üben Mama und Papa mit Ziehharmonika, Trompete und Querflöte für ihre neue Show im Kinderkrankenhaus. Bei geschlossenem Fenster, denn sie wollen die Nachbarn nicht stören. Vorhin klang es noch ziemlich falsch. Aber manchmal muss es sogar falsch klingen, damit das Publikum lacht, weil es glauben soll, Mama und Papa könnten nicht richtig spielen.
    Die Sonne scheint und wir haben uns mit Katze Esmeralda, Spielkarten, Comicheften und Limonade auf Tante Antje in den Schatten gesetzt. Von der Elbe her hören wir das tiefe, dumpfe Tuten der Schiffe, und ich fühle mich rundherum glücklich.
    »Ich möchte so schnurren können wie Esmeralda«, sagt Eddie.
    »Versuchs doch«, schlage ich vor. Und wirklich! Eddie schnurrt mit der Katze im Duett und wir beide streicheln sie. Eddies und Esmeraldas Gesummsel klingt wie die Nähmaschine bei der
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