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Das Phantom auf dem Feuerstuhl

Das Phantom auf dem Feuerstuhl

Titel: Das Phantom auf dem Feuerstuhl
Autoren: Stefan Wolf
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1. Knapp überlebt
     
    Sie fuhren ungefähr Tempo 80, als sie
sich der Brücke näherten.
    Dr. Bienert, Studienrat für Englisch
und Sport, saß hinter dem Lenkrad, Tarzan neben ihm. Beide hatten die
Sicherheitsgurte angelegt.
    Draußen dunkelte es — ein früher Abend
Ende Mai. Leichter Regen netzte Felder und Wiesen. Vor dem Waldrand drüben
waberten Dunstschleier.
    Gedankenverloren sah Tarzan durch die
Windschutzscheibe. Im Stillen verfaßte er bereits den Artikel für die
Schülerzeitung der Internatsschule. Einen Bericht über das Volleyballspiel
heute nachmittag, das die Schulmannschaft — mit ihm als Spielführer — knapp
verloren hatte. Gegen die Mannschaft der Humboldt-Schule, die auch
Landesmeister werden wollte und jetzt um eine Nasenlänge vorn lag. Aber noch
war nichts entschieden. Nächsten Sonntag fand das Rückspiel in der
Internatsschule statt. Dafür hatten sich Tarzan und seine Spieler was
vorgenommen. Dr. Bienert war ihr Trainer.
    Sie fuhren schon seit einer Stunde über
Landstraßen. Den Bus mit der Schüler-Mannschaft hatten sie abgehängt.
    „Ist ja egal“, hatte Dr. Bienert
gesagt. „Für den Weg nach Hause brauchen sie keinen Lotsen.“
    Jetzt sah Tarzan die Brücke.
    Die Straße verlief hier in einer Senke.
    Zehn Meter über der Fahrbahn spannte
sich die Brücke von Hang zu Hang.
    Dahinter rissen die Abendwolken auf.
Vor dem dunkelblauen Hintergrund hoben sich Bäume, Brückengeländer und eine
einsame Gestalt auf der Brücke wie Scherenschnitte ab.
    Tarzan blickte hinauf.
    Die Gestalt rührte sich nicht. Offenbar
war es ein Mann. Er sah ihnen entgegen.
    Er schien Motorradkleidung zu tragen,
einen schwarzen Lederanzug — soweit man das erkennen konnte —, Helm und Brille.
    Etwas Beunruhigendes ging von ihm aus.
    Tarzan spürte, wie sich seine
Rückenmuskeln versteiften.
    50... 40 Meter noch bis zur Brücke.
    Dunkel und einsam dehnte sich die
Landstraße vor ihnen aus.
    „Das Foul an Hanko“, sagt Dr. Bienert
in diesem Moment, „hätte der Schiedsrichter...“
    Mehr hörte Tarzan nicht. Starr vor
Schrecken sah er die Bewegung.
    Der Mann auf der Brücke riß die Arme
über den Kopf. Zwischen den Händen hielt er einen mächtigen Stein.
    „Dr. Bienert! Achtung!“
    Tarzan schrie. Aber es war zu spät.
    Wie ein Meteor (Gesteinsmasse aus
dem Weltall) sauste der Brocken herab, schlug krachend auf die Motorhaube,
prallte gegen die Windschutzscheibe und verwandelte das Sicherheitsglas in
milchige Splitter.
    Reifen kreischten. Der Wagen
schleuderte. Der Ruck warf Tarzan nach vorn. Nur um wenige Zentimeter, dann
fingen ihn die Automatikgurte auf. Aber er hatte das Empfinden, wie ein Pfeil
von der Sehne zu schnellen.
    Die Scheibe war blind. Dr. Bienert rief
etwas. Schlingernd berührte das Heck des Wagens einen Brückenpfeiler. Tarzan
spürte den Ruck in der Wirbelsäule. Blech dröhnte. Dann schoß das Fahrzeug
schräg auf den Hang, kippte zur Seite, rollte wie in Zeitlupe aufs Dach, drehte
sich wieder auf alle vier Räder und — stand.
    Lähmende Stille.
    Tarzan wandte den Kopf.
    Rinnsale von Blut zogen sich über das
Gesicht des Lehrers. Er lehnte an der Tür. Mit halb geschlossenen Augen.
Regungslos.
    „Dr. Bienert?“
    Keine Antwort.
    Wahnsinnige Angst schnürte Tarzan die
Kehle zu.
    „Dr. Bienert! Was ist? Mir ist nichts
passiert. Ich...“
    Er sprach nicht weiter. Niemand hörte
ihn.
    Rasch griff er nach Dr. Bienerts Hand,
die noch das Lenkrad umkrampfte, und fühlte den Puls.
    Der schlug. Kräftig, fast normal. Gott
sei Dank! Dr. Bienert war nur bewußtlos.
    Jetzt sah Tarzan die Delle im Dach —
direkt über dem Kopf des Lehrers. Wie eine Wanne wölbte sich das Dach nach
innen. Offenbar war der Wagen auf einen Stein oder einen Pfosten gekippt.
    „Dieser Hund!“ knirschte Tarzan. „So
ein hinterhältiger Mörder! Umbringen wollte er uns.“
    Als er den Gurt loshakte, wurde er sich
bewußt, daß der Wagen schräg auf der Straße stand. Ohne Licht. Offenbar waren
die Scheinwerfer zersplittert. Und es wurde von Minute zu Minute dunkler.
    Sicherlich — die Straße war einsam.
Aber nicht am Ende der Welt. Und wenn jetzt ein Verrückter mit 120 Sachen
daherkam, fuhr er glatt in sie ‘rein.
    Tarzan wollte seine Tür aufstoßen. Sie
klemmte. Aber die Scheibe ließ sich aufkurbeln.
    Er kroch durchs Fenster hinaus.
    Daß er im Gesicht blutete, merkte er
erst jetzt. Ein Splitter von irgendwas hatte ihn an der Stirn verletzt. Nichts
Schlimmes.
    Er lief um den Wagen herum. Dabei sah
er
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