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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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fröhlich klirrt. »Prost!«, sage ich und kneife meine rote Nase fast zu Mus, als er sich den Flachmann in den Mund steckt.
    »Hach, war das gut. So, jetzt muss ich in die Heia. Und an der scharfen Schwester vorbei. Die ist nicht nur scharf auf mich, die hat auch scharfe Augen. Ich versteck das Zeug immer im Spülkasten vom Klo. Bin ich schlau?«
    »Obersuperschlau«, lobe ich ihn und der Fahrstuhl hält im 8. Stock. Dort steigt er aus. »Ich heiße Hermann und du?« – »Tschüss, Hermann, und schlaf schön«, antworte ich und die Tür schließt, ehe er sich noch etwas überlegt, um mich aufzuhalten. Ich schlottere am ganzen Körper und weiß gar nicht, wie ich mich beruhigen soll. Was ist, wenn eine Schwester oder ein Pfleger vor der Fahrstuhltür stehen? Nun mal ganz ruhig, Isha.
    Du kannst immer noch den Knopf mit E drauf drücken. Dann musst du nur noch unbemerkt aus dem Gebäude herauskommen und heimlich nach Hause fahren. Ganz einfach.
    Mein Finger ist schon am E-Knopf, aber ich muss ihn nicht drücken und steige im 10. Stock aus.
    Ich liege auf der Intensivstation. Unter Frau Schröders Bett. Jemand ist hereingekommen. Die Tür surrte und Sohlen aus Gummi quietschten auf dem Fußboden, das war mein Glück. Es gelang mir in Sekundenschnelle abzutauchen. Der Schuhgröße nach muss es ein Mann sein. Bloß nicht husten … Ich halte die Luft an.
    Ich habe sie gefunden, meinen liebsten Elseschatz. Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen: Niemand hat mich dabei erwischt, wie ich mich in die schwer bewachte Intensivstation hineingeschlichen habe. Einmal musste ich auf allen Vieren an einem beleuchteten Glaskasten vorbeikriechen.
    Meine Else ist wie zwei andere Patienten an Geräte angeschlossen, die eigenartige Geräusche machen in der Stille der dunklen Nacht. Die Kranken sind durch dünne Stoffvorhänge voneinander getrennt. Es brennt nur wenig Licht. Frau Schröder liegt am Fenster. Wieder quietschende Schuhsohlen, das surrende Türgeräusch. Der Pfleger muss weg sein.
    Vorsichtig komme ich aus meinem Versteck hervor. Flirrendes Licht der Bildschirme und eine schwache Beleuchtung neben ihrem Bett. Frau Schröder sieht aus wie ein kleines, sehr altes Mädchen. Ihre Perlenkette und die Ohrringe liegen auf einem winzigen Nachttisch neben dem Bett. Soll ich einfach Else zu ihr sagen? So, wie sie aussieht, ist sie Else und Frau Schröder gleichzeitig. Else, weil sie so klein und wie ein Mädchen aussieht, und Frau Schröder, weil sie ein sehr altes Frauchen ist.
    »Frau Else, hier ist Isha.« Sie reagiert nicht. Wie denn auch? Sie kann mich gar nicht hören. Wo sind denn die Ohrenstöpsel? Irgendwie muss ich ihr zeigen, dass ich da bin.
    Ich überlege nicht lange, schlage die Bettdecke zurück und lege mich zu ihr. Vorsichtig kuschele ich mich an sie und sage, auch wenn sie mich nicht hören kann, leise in ihr Ohr:
    »Liebe Frau Else. Es tut mir so leid. Ich hätte mitfahren sollen. Aber jetzt bin ich da. Draußen scheint ein dicker Mond und ich möchte Sie bitten, gehen Sie noch nicht weg, zum Mond, zur Sonne oder sonst wohin da oben. Bleiben Sie noch ein bisschen bei uns.« Behutsam lege ich einen Arm auf Frau Schröders mageren Körper. Sie trägt ein grünes Krankenhaushemd aus kratzigem Stoff. An ihren Handgelenken sind mehrere Schläuche befestigt. Was haben sie mit meiner Ellebelle gemacht?
    »Wir helfen Ihnen dabei, hier rauszukommen, Mamamoma, Papapipo, Eddie, Oma, Opa, Jonathan und ich. Wir schaffen das gemeinsam, ich bin mir ganz, ganz sicher.«
    Ich setze mir die Clownsnase auf und richte mich ein wenig auf. Ich biege mich nach vorne, mein Gesicht ist nahe an ihrem. Erstaunlich, Frau Schröder duftet immer noch nach Maiglöckchen.
    »Frau Schröder, hier ist Isha-Clown. Können Sie mich fühlen?« Ich halte den Atem an und konzentriere mich auf ihr Gesicht. Ich lege eine Hand auf die rechte Gesichtshälfte, die ein bisschen schief und wie verrutscht aussieht.
    Ich warte, und dann vergesse ich alles um mich herum. Sogar das Ticken, Blubbern und Surren der Geräte, auch das Stöhnen der beiden anderen Patienten. Ich beschwöre immerzu: »Frau Else, fühlen Sie mich? Ich bin bei Ihnen, Isha.«
    Dann, ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, öffnet Frau Schröder ihr linkes Auge. Das rechte bleibt halb geschlossen. Ich lächle sie an. Ihr schiefer Mund versucht zurückzulächeln.
    Sie sagt ein Wort, es klingt wie mein Name. Das nächste Wort klingt nach Clown . Und sie stammelt noch etwas: Es hört sich
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