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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten
Autoren: Simon Tolkien
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PROLOG
Old Bailey, Kriminalgerichtshof London
    1958
    »Also, Mr. Swain, jeder könnte dieses Verbrechen verübt haben. Jeder außer Ihnen. Ist das so richtig?«
    In der Stimme des Staatsanwalts, Sir Laurence Arne, schwang ein Hauch von Sarkasmus mit, als er sich aus seinem Sitz erhob und gemächlich zu voller Größe aufrichtete, sodass er auf den Angeklagten herabblicken und ihn einschüchtern konnte, noch bevor das Kreuzverhör überhaupt begonnen hatte. Er war ein großer Mann, groß und schlank, mit einer breiten Stirn und kleinen, dunklen Augen. Seine knochige Gestalt und eine lange Adlernase trugen zu der vogelartigen Wirkung bei, die unter Kollegen seit Jahren Gesprächsthema war.
    Ein richtiger Raubvogel
, ging es Detective Inspector Trave durch den Kopf. Als für den Fall zuständiger Beamter saß er an einem Tisch seitlich zum Richter, gleich hinter einer ganzen Reihe von Beweisstücken der Anklage, die er im Zuge seiner Ermittlungen sorgfältig zusammengetragen hatte: eine handschriftliche Notiz, ein Messer, zerfetzte und blutige Kleidung, jedes Teil fein säuberlich mit einer eigenen Nummer versehen. Und doch verspürte Trave zu seiner Überraschung einen Anflug von Mitleid mit dem Angeklagten. David Swain sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Ohne Unterlass wechselte er im Zeugenstand von einem Bein auf das andere, fuhr sich mit den Händen durch den wirren Haarschopf und war außerstande, sich auch nur für einen Moment auf irgendjemand oder irgendetwas zu konzentrieren. Erwar kein würdiger Gegner für Arne, und dessen war dieser sich wohl bewusst. Der Staatsanwalt schien mit dem Angeklagten fast schon zu spielen, so wie eine Katze spielt, bevor sie ihr Opfer tötet.
    »Denn das ist im Grunde, was Sie bei der Befragung durch die Polizei sagten«, fuhr Arne fort, als der Angeklagte auf seine erste Frage nicht antwortete. »Ich nicht, ich nicht: jeder, nur ich nicht.«
    »Aber es ist wahr. Ich war es nicht. Und ich war aufgebracht, verwirrt. Jeder in meiner Situation wäre das gewesen«, sagte Swain. Trave konnte in der Stimme des jungen Mannes etwas Trotziges ausmachen, einen vorwurfsvollen Unterton, den er schon kannte. Damit würde er sich unter den Geschworenen keine Freunde machen.
    »Aber genau darum geht es doch«, erwiderte Arne schnell, denn er spürte die entstandene Lücke. »Niemand außer Ihnen
war
in der Situation. Niemand außer Ihnen hatte ein Motiv. Niemand außer Ihnen hatte die Gelegenheit.«
    »Das wissen Sie doch gar nicht. Ethan hat etwas herausgefunden. Deshalb hat er seinem Bruder geschrieben, er müsse ihm etwas mitteilen, es sei aber zu gefährlich, das schriftlich zu tun.«
    »Jemand wollte Mr. Mendel zum Schweigen bringen, bevor er den Mund aufmachen konnte, und deshalb hat man Sie wegen Mordes eingebuchtet. Ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
    »Ja. Ein Mord genügt einfach nicht – man braucht auch den Mörder dazu.«
    »Ich verstehe. Das haben Sie wirklich schön gesagt«, sagte Arne und gestattete sich ein säuerliches Lächeln. »Wenn Sie mir die Frage erlauben: Haben Sie sich das für uns zurechtgelegt, damit uns nicht so langweilig ist?«
    Was für ein billiger Trick
, dachte Trave bei sich, doch der gewünschte Effekt stellte sich ein. Im Gerichtssaal wurde hie und da gekichert, Swain hingegen lief puterrot an vor Wut.
    »Nun, Mr. Swain«, fuhr Arne fort. »Betrachten wir Ihre Schilderung des Tathergangs, und schauen wir mal, ob das, was Sie sagen,irgendeinen Sinn ergibt. Vielleicht finden wir ja heraus, wer denn nun in Wahrheit der Mörder war.«
    Swain kaute auf seiner Lippe, schloss und öffnete dabei abwechselnd seine Hände, die er auf dem Zeugenstand abgelegt hatte. Ganz offensichtlich war er nicht imstande, seine Gefühle zu kontrollieren: Wut und Angst standen ihm mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. Wenig Hilfe kam auch von den Heizungsrohren – die leisteten nämlich ganze Arbeit bei ihrem Versuch, die gar nicht zur Jahreszeit passenden Temperaturen auszugleichen. Schweißtropfen bildeten sich am Haaransatz und auf der Stirn des Angeklagten, und unwillkürlich hob er die Hände und rieb sich die Augen, um für einen Moment dem gnadenlosen Deckenlicht zu entgehen, das den fensterlosen Gerichtssaal erleuchtete.
    »Sie geben also zu, dass Sie den Großteil des vergangenen Jahres ein Verhältnis mit Katya Osman hatten?«, fragte Arne in sachlichem Ton.
    »Aber natürlich. Sie war meine Freundin«, antwortete Swain, der immer noch
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